"Ach, deshalb sind wir alle Brillenträger"

Zu einem ungewöhnlichen Selbsterfahrungsversuch hatte das Trierer Landgericht Journalisten eingeladen. Es ging um die spannende Frage: Wie schnell ist man wie voll? Und ab wann steigt einem der Alkohol zu Kopf, und wie sinkt die persönliche Hemmschwelle? Der Hintergrund: Bei immer mehr Straftaten und Verkehrsdelikten ist Alkohol im Spiel. TV-Redakteur Rolf Seydewitz hat bei dem ungewöhnlichen Projekt nicht nur zugeschaut.

Trier. (sey) "Stubbi oder Wein?" Der Bernkastel-Kueser Strafrichter und Projektleiter Oliver Emmer kommt gleich zur Sache, kaum haben sich die ersten Journalisten in der Kantine des Trierer Landgerichts hingesetzt. "Stubbi", schallt es unisono aus unserer Richtung zurück. Kurze Zeit später steht schon die erste Batterie Bitburger vor uns auf dem Tisch. Die Flaschen sind gut gekühlt, die Uhrzeit - es ist kurz nach 15 Uhr - Nebensache. "Prost", ruft mein Nachbar zur Linken, das Startzeichen für den Selbstversuch ist gegeben.Während Strafrichter Oliver Emmer bereits wieder hinterm Tresen verschwunden ist, um Nachschub zu holen, legt Doktor Thomas Kaufmann vom Institut für Rechtsmedizin an der Uni Mainz dem Dutzend freiwilliger Probanden Tabellen auf den Tisch. Dort kann jeder nachschauen, was er in den nächsten eineinhalb Stunden trinken muss, um einen bestimmten Promille-Wert zu erreichen. "Wir schaffen eins-kommanull", tönt mein Nachbar zur Rechten, während ich in dem tabellarischen Zahlenwust verzweifelt die dazugehörige Anzahl Stubbis suche. "Oh Mann", stöhnt da schon mein offenbar tabellenerfahrenes Gegenüber, "das sind ja deutlich mehr als zwei Liter Bier."

Ein erster Blick zur Uhr: Zehn Minuten sind schon vorbei. Da kommt Chef-Kellner Emmer mit der zweiten Ladung gerade recht. Während das Quintett an meinem Tisch anstößt, belehrt uns Doktor Kaufmann, wie Alkohol von unseren Körpern resorbiert wird, und warum Frauen nicht so viel vertragen. Wir lachen lauthals, was der Wissenschaftler ebenfalls erklären kann: Alkohol enthemmt und macht albern.

Leichtes Dusel-Gefühl im Kopf

Eine knappe halbe Stunde ist vorbei, als Strafrichter Emmer die nächste Fuhre Stubbis bringt. Ich habe schon ein leichtes Dusel-Gefühl im Kopf, und durstig bin ich eigentlich auch nicht. Aber kneifen gilt jetzt nicht: "Prosit", meint ein bereits leicht enthemmter Kollege. "Ab 0,2 bis 0,3 Promille wirkt sich der Alkohol auf die Seh-Leistung aus", erklärt derweil der Mainzer Biologe. "Ach, deshalb sind wir alle Brillenträger", ruft jemand von unserem Tisch und muss kichern.

Klammheimlich haben wir derweil unser Trink-Ziel reduziert - auf 0,8 Promille. Das sind - je nach Gewicht - immerhin auch noch zwischen sechs und sieben Stubbis, die in eineinhalb Stunden getrunken werden müssen. Und die Hälfte der Zeit ist schon vorbei.

Doktor Kaufmann hat ein Messgerät dabei, in das er mich pusten lässt. Das Ergebnis überrascht mich: 0,39 Promille nach drei Stubbis. Ich dürfte also noch fahren. Obwohl ich bereits merke, dass ich ziemlich angesäuselt bin.

"Da geht noch was", meint mein Kollege zur Linken (0,46 Promille), während ein anderer uns zur Eile mahnt: "Wir haben nur noch eine gute halbe Stunde." Zehn Minuten später ist auch die vierte Flasche im Bauch. Das Mitschreiben fällt mir von Minute zu Minute schwerer. Pünktlich zum Öffnen der fünften Flasche kommt ein Richter mit seiner Gitarre vorbei und singt uns das Lied vom Trinkversuch: "Mit dem Bier, dem ganzen vielen, wollen wir 'nen Forschungszweck erzielen." Während ich mir noch Gedanken über den möglichen Forschungszweck mache, kommt Oliver Emmer bereits mit der nächsten Fuhre aus dem Kühlschrank an den Tisch: "Endspurt", muntert uns der Richter auf.

Unlust beim sechsten Stubbi

"So schnell trinkt man doch normal nicht", meint ein besorgter Kollege, "Schluffi", entgegnet ein anderer. Ich nuckele derweil eher unlustig an meinem sechsten Stubbi herum. Nur noch vier Minuten. "Ich hatte schon mal 1,27 Promille", prahlt eine testerfahrene Dame am Nachbartisch. Die habe ich bestimmt auch, denke ich, während ich zu Doktor Kaufmann und seinem Puste-Röhrchen wanke. 0,8 Promille in eineinhalb Stunden waren mein Ziel, 0,76 Promille ergibt die Messung. "Ein interessanter Wert", meint Richter Emmer. "Damit hätten Sie sich vor zehn Jahren noch ungestraft hinters Steuer setzen können."

Ich bin einigermaßen erstaunt. Und ziemlich betrunken. Den Kollegen an den anderen Tischen geht's nicht viel besser. Doktor Kaufmann dreht mich zum Abschluss noch fünfmal um die eigene Achse. Seinen Finger, den er mir danach vors Gesicht hält, können meine Augen nicht mehr fixieren.

12 000 Blutproben untersuchen die Mainzer Rechtsmediziner jedes Jahr auf ihren Alkoholgehalt. Den Durchschnittswert kann ich kaum glauben: 1,6 Promille. Mir hat an diesem Tag schon die Hälfte gereicht. Hintergrund Für Fahr-Anfänger in der Probezeit und für Führerscheininhaber bis 21 Jahre gilt seit 1. August ein absolutes Alkoholverbot am Steuer. Verursacht ein Autofahrer mit 0,3 Promille oder mehr alkoholbedingt einen Unfall oder begeht er einen Fahrfehler, kann ihm dafür bereits der Führerschein entzogen werden. Ab 0,5 Promille spielen mögliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen keine Rolle mehr. Es ist immer eine Ordnungswidrigkeit, die mit Fahrverbot, Punkten und Geldbuße geahndet wird. Wer 1,1 Promille oder mehr hat, gilt als absolut fahruntüchtig. Und: Er begeht eine Straftat. Entsprechend härter sind die Sanktionen.

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