Nach dem Hochwasser Streit unter Helfern im Ahrtal eskaliert: „Es kommt alles auf den Tisch“

Mainz/Ahrtal · Fast zwei Jahre nach der Flut im Ahrtal kocht ein Streit unter Helfern hoch, der mittlerweile bis nach Mainz reicht. Es geht um Hetze, Geld und Eitelkeiten.

 Kurz nach der Flut fehlt es an allem: Freiwillige Helfer bringen auch die nötigen Maschinen.

Kurz nach der Flut fehlt es an allem: Freiwillige Helfer bringen auch die nötigen Maschinen.

Foto: dpa/Thomas Frey

Malu Dreyer ist eigentlich schon auf dem Sprung, als ihr die ganze Wut und Verzweiflung einer Betroffenen aus dem Ahrtal plötzlich entgegenschlägt. Kurz zuvor war die Ministerpräsidentin auf offiziellen Terminen, verabschiedete sich, ging zu ihrem Dienstwagen. Eine Frau rief ihr jedoch nach. Sie wollte wissen, mit welchem Gewissen Frau Dreyer nachts ruhig schlafen könne. „Das tut unseren Seelen weh, dass Sie mit uns Betroffenen nichts zu tun haben“, schreit die Frau. Die Ministerpräsidentin fährt ab zum nächsten Termin, ihre Regierungssprecherin versucht im Anschluss die Wogen zu glätten. Die Szenen sind in einem Live-Video auf Facebook dokumentiert – wie fast immer im Ahrtal. Dieses Mal sind es Szenen, die symbolisch für einen Konflikt vor Ort stehen – und auch für den Ton, der mittlerweile angeschlagen wird.

Eigentlich neigte sich kürzlich die offizielle Aufarbeitung der Flutkatastrophe dem Ende entgegen. Der Untersuchungsausschuss in Mainz schloss vergangene Woche seine Beweisaufnahme. Doch im Ahrtal kracht es weiter. Dieses Mal nicht wegen der Flutnacht selbst, sondern der Zeit danach bis heute. Helfer streiten sich, verklagen sich. Es geht um Geld, Ansehen und die Deutungshoheit.

Nach der Flut kamen Tausende Helfer – einige blieben

Zurück zum Anfang: Kurz nach dem 14. Juli, Rheinland-Pfalz hat gerade die größte Naturkatastrophe seiner Geschichte erlebt, sind sich die staatlichen Strukturen noch uneins über die Organisation. Das Ahrtal ist verwüstet, es fehlt an allem: Strom, Wasser, Unterkünften – und Personal. Der Kreis ist überfordert, viele Mitarbeiter selbst betroffen. Das Land übernimmt erst drei Tage nach der Katastrophe die Einsatzleitung. Direkt nach der Flut kommen aber die Ehrenamtlichen. Tausende wollen mitanpacken, eine Welle der Solidarität zeichnet sich ab.

Unter den Helfern der ersten Stunde sind auch Markus Wipperfürth und Wilhelm Hartmann, beide mittlerweile weit über das Tal hinaus bekannt. Sie bringen Maschinen, Container – und die Folgen der Katastrophe ins Netz. Tausende folgen ihnen auf Facebook, wo sie nahezu täglich Livevideos posten, bis heute. Wipperfürth spart von Anfang an nicht mit deutlicher Kritik, baut sich eine Community auf, gewinnt die Deutungshoheit. Nicht allen gefällt das. Auch im Ahrtal gibt es Gegenwind. In einem Artikel auf „t-online“ ist Anfang vergangenen Jahres von den „Fluthelden auf Besatzerkurs“ die Rede. Wipperfürth geht dagegen juristisch vor, bislang ohne Erfolg.

Im August 2021 versucht das Land die Oberhand zurückzugewinnen und organisiert eine Beratungsstruktur für die Betroffenen – sogenannte Infopoints. Weil sowohl dem Kreis als auch der vom Land zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) das entsprechende Personal fehlt, beauftragt man einen externen Dienstleister. Eine ehrenamtliche Gruppe musste dafür weichen. Mit „FormulAHR“ hatte es bereits Beratung für Fluthilfen gegeben. Wie die Gruppe aus regionalen Fachleuten im Anschluss erklärte, habe man die hohen Anforderungen des Landes aber nicht erfüllen können. Die Gruppe löste sich schließlich auf.

 Markus Wipperfürth bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe.

Markus Wipperfürth bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe.

Foto: Helmut Fricke/dpa/Helmut Fricke

Hunderttausende Euro vom Land für Missy Motown

Hier kommt die prominenteste Person der vergangenen Wochen ins Spiel: Nicole Schober, die in der Öffentlichkeit eher unter dem Namen Missy Motown bekannt ist. Schober lebt im Ahrtal, ist Eventmanagerin in Frankfurt und betreibt dort einen Club. Auch sie ist Helferin der ersten Stunde. Vom Land erhält sie besagten Auftrag, die ehrenamtliche Struktur mit einer neuen hauptamtlichen Struktur für die Infopoints zu erneuern. Unterzeichnet hat den Vertrag die damalige Vizepräsidentin der ADD, Begoña Hermann, gegen die derzeit wegen ihres Urlaubs kurz nach der Flut ein Disziplinarverfahren läuft. Der sogenannte Helfer-Stab entstand – mit fünfzehn Mitarbeitern, die Schober anstellte. Zunächst mit Landesgeld, später mit Geld vom Kreis – ein Volumen von mehreren Hunderttausend Euro. Ausgeschrieben wurde der Auftrag nicht.

Das rief kürzlich Kritik von den Freien Wählern hervor. Der Abgeordnete Stephan Wefelscheid kritisierte die Auftragsvergabe, weil keine anderen Angebote eingeholt worden seien und Schober als Eventmanagerin nicht unbedingt für das Katastrophenmanagement qualifiziert sei. Das Land sieht das anders. Es sei damals entscheidend gewesen, „möglichst unkompliziert vorzugehen“, sagte ADD-Präsident Thomas Linnertz (SPD). Dazu habe man auf eine unbürokratische Vergabeerleichterung der Landesregierung zurückgegriffen. Entscheidend seien Organisationstalent, Vernetzung und Ortskenntnisse gewesen. „Zu keinem Zeitpunkt ging es um die Bevorteilung einzelner Gruppen von freiwilligen Helferinnen und Helfern“, so Linnertz weiter.

Missy Motown (Nicole Schober) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei ihren Besuch im Ahrtal am vergangenen Samstag.

Missy Motown (Nicole Schober) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei ihren Besuch im Ahrtal am vergangenen Samstag.

Foto: dpa/Thomas Frey

Nicht alle Helfer erhielten eine Medaille

Dieser Satz des ADD-Präsidenten spielt auf den Konflikt im Ahrtal an. Einen Helferstreit, der sich über die Monate zugespitzt hat und in den vergangenen Wochen öffentlich eskaliert ist. Auf der einen Seite steht die Gruppe um Wipperfürth und Hartmann, auf der anderen Schober mit dem Helfer-Stab. Schober erhielt vom Land – wie 150 weitere Personen – die Landesverdienstmedaille „Flut 2021“, Hartmann und Wipperfürth nicht. „Grundsätzlich gilt, dass Prüfverfahren für staatliche Auszeichnungen aus Datenschutzgründen streng vertraulich sind“, antwortet die Staatskanzlei auf Anfrage unserer Redaktion zu den Auswahlgründen.

Vor wenigen Wochen erreichte der Streit im Ahrtal seinen Höhepunkt – mit einem noch nicht rechtskräftigen Urteil. In Bayern wurde die Politikberaterin Roswitha K. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen Beleidigung und versuchter Nötigung verurteilt. Auf ihrer Internetseite „Faktencheck Ahrtal“ soll sie eine digitale Kampagne gegen Wipperfürth und Co. geführt haben. Was Bayern mit dem Ahrtal zu tun hat? K. pflegte eine Geschäftsbeziehung zu Schober, die im Ahrtal den Helferstab anführt.

Bezahlte Diffamierung?

Das hat Schober alias Missy Motown vergangene Woche offengelegt, nachdem in einigen Medien Vorwürfe gegen sie erhoben wurden. In den Berichten wurden die Fragen aufgeworfen, ob Schober womöglich von einer Hetzkampagne gegen Wipperfürth profitiert haben könnte, sie K. womöglich dafür mitfinanziert haben könnte – und, ob die Landesregierung womöglich davon gewusst haben könnte, um regierungskritische Fluthelfer zu diskreditieren. Viele Konjunktive stehen im Raum. Klar ist mittlerweile, dass K. nach Angaben Schobers vier Monate lang für sie gearbeitet haben soll und dafür auch Geld erhalten hat. Schober habe ihr aber kein Geld für „Faktencheck Ahrtal“ gezahlt, sondern vielmehr deutlich gemacht, dass viele Aussagen polarisierend seien und nicht konstruktiv für den Wiederaufbau im Ahrtal, sagt sie selbst. „Die Zusammenarbeit endete aufgrund inhaltlicher Differenzen“, erklärte Schober vergangene Woche.

Beim Land, das Schober zunächst finanzierte, war diese Beziehung offenbar nicht bekannt. „Die Staatskanzlei hat über die Medienberichterstattung und eine Pressemitteilung von Frau Schober über die Geschäftsbeziehung erfahren“, erklärt die Staatskanzlei auf Anfrage unserer Redaktion. Schon vergangene Woche hatten Landesregierung und der Kreis Ahrweiler Schober „gegen Anfeindungen“ in Schutz genommen. Auch in den sozialen Medien erhalten insbesondere die Mitarbeiter des Helferstabs Zuspruch.

„Es kommt alles auf den Tisch“

Die neuesten Entwicklungen im Helferstreit sorgen bei der Gruppe um Wipperfürth und Co. offenbar für Genugtuung. Nicht wenige sagen, von ihnen sei gar eine Gegenkampagne gegen Schober angezettelt worden. Gut Ding brauche Zeit und jetzt sei die Zeit gekommen, sagte Wipperfürth vor einigen Tagen in einem seiner Livevideos auf Facebook. Mit einem eigenen Helferstab habe die Landesregierung offenbar versucht, die Kritik der anderen Fluthelfer auszuräumen, heißt es von der CDU. „Die Aufklärung ist hier Chefsache. Innenminister Ebling und Ministerpräsidentin Dreyer müssen umgehend alle Fakten auf den Tisch legen“, sagte der CDU-Landesvorsitzende, Christian Baldauf, zu den Vorwürfen. Wipperfürth ist sich da schon sicher: „Es wird alles rauskommen. Es kommt alles auf den Tisch, alles.“ Was genau er meinte, wollte er noch nicht verraten. Aber sicher sei er sich, „dass Malu Dreyer ihren Stuhl verlassen wird“.

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