Angst, den Bruder ins Gefängnis zu bringen?

Schwieriger Prozess vor dem Trierer Landgericht: Das Opfer schützt den mutmaßlichen Täter. Ein 22-Jähriger soll seine vier Jahre jüngere Schwester fast totgeschlagen haben. Doch sie will davon nichts wissen.

Trier. Die 18-Jährige tritt selbstbewusst in den Gerichtssaal, antwortet zum Teil schnippisch auf Fragen der drei Richter des Schwurgerichts und von Oberstaatsanwalt Ingo Hromada. Die junge Frau macht es ihnen nicht leicht. Sie ist Opfer. Doch den, der sie im vergangenen Juli fast totgeschlagen haben soll, schützt sie: ihren Bruder. Er soll ihr vor dem Elternhaus im Trierer Stadtteil Tarforst mit einem Backstein auf den Kopf geschlagen haben, sie an den Haaren gezogen, getreten und gegen ein Garagentor geschleudert haben. Auch die vom Jugendamt der damals 17-Jährigen zur Seite gestellte Betreuerin soll von dem Bruder angegriffen worden sein. Mögliches Motiv: Die 17-Jährige, Tochter einer aus dem Irak stammenden Familie, war von zu Hause ausgezogen und hatte damit offenbar die Familienehre verletzt.

Die Schwester schaut ihren Bruder, der seit Dezember auf der Anklagebank sitzt, während der kurzen Vernehmung nicht an. Anders der Bruder: Er lässt sie kaum aus den Augen, starrt sie fast schon an. Die 18-Jährige muss zum zweiten Mal aussagen. Doch auch dieses Mal belastet sie ihren Bruder nicht.

Fassungslose Nebenklägerin



Von einem Stein, mit dem er sie geschlagen haben soll, weiß sie nichts. Fassungslos schüttelt die als Nebenklägerin anwesende Betreuerin vom Jugendamt den Kopf. Hat die 18-Jährige Angst, ihren Bruder ins Gefängnis zu bringen? Der psychiatrische Gutachter Ingo Baltes spricht von einem sehr traditionsbewussten Elternhaus mit einem patriarchischen Familienbild. Der älteste Bruder, der jetzt auf der Anklagebank sitzt, sei der Kronprinz, der alles für die Eltern regele und der die Familie zusammenhalte.

Die 18-Jährige erzählt noch einmal von Problemen, die sie mit der Mutter gehabt habe, sie habe sie "nie verstanden". "Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten", sagt sie. Ob sie jedoch tatsächlich im Irak zwangsverheiratet wurde und ob ihr Vater ihr gedroht hat, sie umzubringen, bleibt unklar. Sie habe das angegeben, um in dem Frauenhaus unterzukommen. Mittlerweile scheint sich das Verhältnis zur Familie normalisiert zu haben. In einer Verhandlungspause spricht die 18-Jährige, die nicht mehr zu Hause wohnt, ruhig und gelassen mit ihrer Mutter.

Genau wie zuvor bereits Mitarbeiter des Jugendamtes und des Frauenhauses bestätigt ihre Ex-Lehrerin, dass die junge Frau zu Hause wohl ernste Probleme gehabt habe. Sie habe ihr erzählt, dass sie keinen Kontakt zu Freunden haben dürfe, das Handy sei ihr abgenommen worden, auf eine Klassenfahrt habe sie nicht mitgedurft. Auffallend sei gewesen, dass bei allen Gesprächen mit den Eltern der Bruder dabei gewesen sei.

An Aschermittwoch soll das Urteil fallen.

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