Armut trifft immer mehr Kinder

Die Kinderarmut steigt und macht den Nachwuchs inzwischen zur größten Gruppe unter den Armen. Mehr als 1,9 Millionen Kinder unter 15 Jahren haben Ende 2006 Sozialleistungen als Teil einer Bedarfsgemeinschaft nach Hartz IV erhalten.

"Armut schränkt Kinder nicht nur ein, sie grenzt sie sozial aus", sagt Günther Salz von der Liga der freien Wohlfahrtsverbände in Rheinland-Pfalz. Und das birgt aus seiner Sicht erheblichen sozialen Sprengstoff. Die wirtschaftliche Verarmung unterer Schichten in den letzten Jahren schlug nach seiner Erfahrung vor allem auf die Kinder durch. Doch der im vergangenen Jahr einsetzende Wirtschaftsaufschwung kommt in diesen Kreisen nicht an, wie unter anderem der wachsende Zulauf bei Lebensmittelausgabestellen zeigt.Deutlich höhere Dunkelziffer

Landesweit 74 500 unter 15-Jährige bezogen im Dezember 2006 Sozialgeld, allerdings dürfte die Dunkelziffer nach Schätzung der Wohlfahrtsverbände deutlich höher liegen. Nach einer Übersicht des Bremer Forschungsinstituts BIAJ, die vor allem auf Statistiken der Bundesarbeitsagentur aufbaut, sind auch die Zahlen in der Region Trier in den letzten beiden Jahren um bis zu zehn Prozent gestiegen und lagen zum Jahresende in der Stadt Trier bei 2324, im Landkreis Bernkastel-Wittlich bei 1515, in Bitburg-Prüm bei 790, in Trier-Saarburg bei 1245 und im Vulkaneifelkreis bei 870 jungen Sozialgeld-Empfängern unter 15. Für Kinder, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, werden bis zum 14. Geburtstag 60 Prozent des Hartz-IV-Regelsatzes (207 Euro) und für 14- bis 18-Jährige 80 Prozent (276 Euro) gezahlt.Endlich eine "ehrliche" Statistik

Das Mainzer Sozialministerium wertete den landesweiten Anstieg der Unterstützungsfälle um mehr als zwölf Prozent vor allem als statistischen Effekt bei der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe Anfang 2005 und dem kontinuierlichen Anstieg der Bedarfsgemeinschaften. "Wir haben jetzt eine ehrlichere Statistik", sagte eine Ministeriumssprecherin. Verlässliche Schlüsse sind nach ihren Angaben aus dieser Umstellungsphase kaum zu ziehen.Für Günther Salz spiegelt sich die wachsende Kinderarmut im alltäglichen Leben in Kindergarten und Schulen wider: Kinder kommen ohne Frühstück, werden beim Mittagessen aus finanziellen Gründen abgemeldet oder können bei Ausflügen nicht mitmachen. Schwierige Familienverhältnisse machten Kinder apathisch oder auch aggressiv. Seine Analyse: Kinderarmut ist Folge einer wachsenden Ungleichheit, bei der die Armen immer ärmer werden - und kaum noch von einer sich bessernden Wirtschaftslage profitieren. Meinung Teures Versäumnis Die Alarmglockken müssen schrillen, wenn 16 Prozent der Kinder quasi Sozialhilfefälle sind. Ernährungsmängel und allgemeine Unterversorgung in sozialen Brennpunkten sind keineswegs neu. Doch das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Den jüngsten Anstieg vor allem mit Statistik zu erklären, ist kühn. Denn es gibt nichts zu beschönigen: 75 000 Kinder leben allein in Rheinland-Pfalz am absolut unteren Ende der vermeintlichen Wohlstandsgesellschaft. Bei einem Kind, das mit Benachteiligung und Ausgrenzung aufwächst, steht die ganze Entwicklungsperspektive auf der Kippe - mit allen fatalen gesellschaftlichen Folgen, die später einen aufwändigen staatlichen Reparaturbetrieb notwendig machen, wenn dann überhaupt noch etwas auszubügeln ist. Wird hier nicht stärker unterstützend eingegriffen, kommt es den Staat teuer. Teurer jedenfalls als bessere Betreuung und Bildungschancen zu bieten.

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