Artikel elf und die Liebe zur Mutter

BIERSDORF. Verdauen und Luft holen: Diese Wörter fielen häufig während einer Regionalkonferenz der Europa-Union am Biersdorfer Stausee bei Bitburg. Sie hatte sich die kommunalpolitische Dimension der EU zum Thema gemacht.

Verdauen und Luft holen. Das schien zu beschreiben, was die Bürger Europas nach der rasanten Erweiterung der EU derzeit tun. Sie hätten Angst vor Nachteilen, die zukünftige Erweiterungen ihnen bringen könnten, hieß es bereits in der Einladung zu einer Regionalkonferenz der Europa-Union. Sie "fühlen sich von Europa überreguliert und übergangen". Das Jahr 2005 bezeichnete der Landesvorsitzende der Europa-Union, Ernst Ludwig Göpfert, als "Jahr des Rückschritts". Er bezog sich auf die nach den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden stecken gebliebene Ratifizierung der Europäischen Verfassung. Die EU sei in eine Sinnkrise geraten. "Nach dieser Krise haben wir gesehen, dass wir den Bürger mitnehmen müssen", sagte Göpfert. Als überparteiliche und unabhängige Nichtregierungsorganisation wolle die Europa-Union daran mitwirken."Das Baby lacht die Mutter an"

Ein Europa der Bürger werde es ohne Mitspracherecht der Kommunen nicht geben, sagte Jürgen Backes, Bürgermeister der Verbandsgemeinde (VG) Bitburg-Land. Dieses Recht stand immer wieder im Mittelpunkt von Vorträgen und Diskussionen: das Leitwort lautete "Subsidiarität". Subsidiarität ist ein in Artikel elf des europäischen Verfassungsentwurfs verankertes Prinzip. Nach diesem Prinzip darf die EU nur dann tätig werden, wenn die Mitgliedsstaaten ein Ziel - auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene - nicht erreichen können. Sie bräuchte somit einen Grund, um Vorschriften zu machen, die ins Detail gehen. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit dürfte die EU zudem nur so viel regeln, wie wirklich nötig ist. Die Kommunen versprechen sich viel davon. In seinem Vortrag über die kommunalen Aspekte der europäischen Verfassung entwarf Heinrich Hoffschulte, Vizepräsident des "Rats der Gemeinden und Regionen in Europa", ein Bild für das Subsidiaritätsprinzip. Es ist gleichzeitig ein Bild für die emotionale Haltung vieler Bürger zu Europa: "Das Baby lacht am meisten die Mutter an, weil es sie am besten kennt." Die Mutter entspreche den Kommunen, die Familie den Kreisen und die Nachbarn der Region. Es sei selbstverständlich, dass die Emotionen der Identität auf lokaler Ebene höher schlügen als auf EU-Ebene. "Und die Anwendung europäischen Rechts findet in Rathaus oder Kreisverwaltung statt." Hoffschulte glaubt, dass es den Kommunen besser ginge, wenn das Subsidiaritätsprinzip auch im Grundgesetz verankert wäre.Mittel gegen Verordnungsunwesen

Auch Bernhard Kaster, Mitglied des Bundestags und langjähriger CDU-Kommunalpolitiker in der Region Trier, begrüßte Artikel elf des europäischen Verfassungsentwurfs als probates Mittel gegen das "Verordnungsunwesen" der EU. Er erinnerte an die europäische Zusammenarbeit vor Ort: deutsch-luxemburgische Kläranlagen oder gemeinsame Feuerwehren wie in Langsur und Metzdorf (Kreis Trier-Saarburg). Als Vertreter regionaler Interessen im Bundestag und Mitglied des Unterausschusses für Fragen der EU berichtete er vom Weg kommunaler Wünsche von Trier über Berlin nach Brüssel. 60 Prozent aller Verordnungen, die derzeit auf ihren Schreibtischen landen und umgesetzt werden wollen, hat die EU gemacht. Die VG-Bürgermeister Rudolf Becker (Speicher) und Jürgen Backes würden sich über die neue Verfassung freuen. Wie die Umsetzung des Artikels elf in der Praxis aussehen könnte, wissen sie nicht. Solange nicht alle unsere europäischen Nachbarn zugestimmt haben, bleibt sie ohnehin noch Zukunftsmusik.

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