Auf dem neuen Zeugnis kreuzt der Lehrer nur an

Mainz · Was hat mein Kind schon gelernt, was muss es noch lernen? Diese Fragen stellen sich viele Eltern vor der Wahl einer weiterführenden Schule. Zusätzliche Gespräche und neue Zeugnisse sollen ihnen bei der Entscheidung helfen.

Mainz. Eins bis sechs, sehr gut bis ungenügend: Das kennt jeder. In den ersten und zweiten Klassen der 982 Grundschulen im Land mit rund 130 000 Schülern verschont man die Kinder vor den mitunter fiesen Zahlen. Sie bekommen noch keine Noten. Erst ab der dritten Klasse gibt es Zensuren - sofern die Schule sich im Benehmen mit den Eltern nicht einig ist, darauf zu verzichten.
Seit Jahren werden bundesweit Debatten darüber geführt, ob und ab wann Noten gut oder schlecht sind. Bildungspolitik ist Ländersache, und so handhaben die Bundesländer das unterschiedlich.
In Berlin, wo die Grundschule sechs Jahre dauert, gibt es Zensuren erst ab der fünften Klasse. In den meisten Ländern setzt man mehr auf Worte statt auf Zahlen. Also darauf, die Kinder ausführlich und möglichst individuell zu beurteilen, oft schonend.
Auch Rheinland-Pfalz hat vor Jahren sogenannte Verbalzeugnisse eingeführt (siehe Musterzeugnis unten). Die Lehrer dürfen und sollen frei formulieren, wie sie den Leistungsstand der Kinder einschätzen.
Leider kämen die Botschaften nicht immer bei den Adressaten an, heißt es aus Eltern- wie Lehrerkreisen. "Ein irrwitziger Aufwand", kritisiert der Lehrerverband VBE, der sich massiv dafür eingesetzt hat, die Sache zu vereinfachen. Genau das geschieht jetzt, denn die Grundschulordnung wird geändert. Das Bildungsministerium nennt die Neuerung "standardisierte Könnensprofile", andere sprechen von "Kompetenzstufenzeugnissen". Eine Arbeitsgemeinschaft aus Ministeriumsexperten, Lehrerverbänden und dem Landeselternbeirat befasst sich seit einem halben Jahr damit, wie diese aussehen sollen.
Das Ministerium hat den Beteiligten nun seinen Plan vorgelegt, zu dem sie sich bis November äußern können. Schüler und Eltern erfahren künftig nicht mehr in manchmal verschwurbelten Sätzen oder in vorgefertigten Textelementen, wie sie Landeselternsprecher Thorsten Ralle oft beobachtet hat, was das Kind kann. Sondern in klaren, kurzen und verständlichen Einschätzungen (Kompetenzstufen), wo Stärken und Schwächen liegen. Die Lehrer kreuzen jeweils nur an (siehe Vorschlag für ein Musterzeugnis rechts).
Dass der Verzicht auf die verbalen Feinheiten kommt, ist sicher, wird er doch schon länger gefordert. So plädiert zum Beispiel die CDU-Opposition im Landtag, "die völlig überbürokratisierten und intransparenten Verbalzeugnisse zurückzuziehen". Das Land müsse "wieder einheitliche Leistungsstandards einführen und die Relativierung der Ziffernnoten aufgeben".
Apropos Noten: Für Eltern sind sie spätestens dann wichtig, wenn sie nach dem ersten Halbjahr der vierten Klasse entscheiden müssen, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind schicken wollen. "Es ist nicht förderlich, grundsätzlich auf Noten zu verzichten", sagt Landeselternsprecher Ralle. Viele Eltern wünschten sich Zensuren schon ab der dritten Klasse.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht das anders. Der Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer hält es für eine "falsche Maßnahme", im ersten Halbjahr der Klasse drei Noten zu verteilen. Er wünscht sich, das neu vorgesehene Gespräch von Lehrer, Schüler und Eltern nur zusammenzufassen. Der VBE hat hingegen nichts gegen Noten, solange es nicht nur diese gibt, sondern zusätzlich eine individuelle Beurteilung.
Landeselternsprecher Thorsten Ralle macht auf einen Umstand aufmerksam, der für Eltern besonders wichtig sei: "Noten sollten sich nicht auf die jeweilige Klasse des Kindes beziehen, dann sind sie wenig aussagekräftig, sondern auf transparente Lehr- und Lerninhalte." Das nehme den Eltern die Sorge, ihre Kinder hätten schon viel mehr gelernt haben müssen. Und es gebe kein böses Erwachen bei der Wahl der weiterführenden Schule.
Das Bildungsministerium sieht in der Novelle der Grundschulordnung bislang für das Halbjahresende der dritten Klassen ein reines Notenzeugnis vor, dem ein Protokoll des von allen Beteiligten begrüßten Lehrer-Schüler-Eltern-Gesprächs beigefügt wird. Paragraph 34,4, der Schulen die Wahl lässt, ob Zensuren gegeben werden, soll unberührt bleiben.Extra

 Egal wie das Zeugnis ausfällt: Die Kinder sollten fröhlich bleiben. In der Regel gibt's nach der Vergabe ja auch erst mal Ferien. Symbol-Foto: dpa

Egal wie das Zeugnis ausfällt: Die Kinder sollten fröhlich bleiben. In der Regel gibt's nach der Vergabe ja auch erst mal Ferien. Symbol-Foto: dpa

Zeugnisse werden eigentlich von den Lehrern ausgestellt. Vor kurzem haben aber auch Schüler Noten verteilt - und zwar für ihre Schule. Dazu hatten Unicef Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk aufgerufen. 3000 Kinder und Jugendliche machten mit. Heraus kam: Die meisten Kinder finden ihre Schule nützlich. Es gibt aber einige Dinge, die viele Schüler stört. Zum Beispiel das Schulessen. Das bekam insgesamt nur die Note 3. Mit Abstand am schlechtesten schneiden die Schultoiletten ab: nur Gesamtnote 3,4. "Es ist sehr eklig, wenn überall Klopapier liegt und es stinkt", schreibt zum Beispiel ein Kind. Viele Kinder wünschten sich, mehr mitentscheiden zu können. Und: "Es sollte kleinere Klassen geben, und die Lehrer sollten sich mehr Zeit auch für Schwächere nehmen." dpa

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