Auf der Suche nach der Keim-Quelle

Trier · Rätselraten im Trierer Mutterhaus: Warum breitet sich der für Frühchen gefährliche Keim Serratia marcescens auf der Kinderintensivstation weiter aus? Der Betrieb auf der normalen Neugeborenenstation geht unterdessen uneingeschränkt weiter.

 Eine Krankenschwester auf der Kinderintensivstation des Trierer Mutterhauses betreut ein Frühgeborenes. Auf der Station ist der Keim Serratia marcescens bei insgesamt zwölf Frühchen festgestellt worden. TV-Foto: Friedemann Vetter

Eine Krankenschwester auf der Kinderintensivstation des Trierer Mutterhauses betreut ein Frühgeborenes. Auf der Station ist der Keim Serratia marcescens bei insgesamt zwölf Frühchen festgestellt worden. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. "Wir haben gedacht, wir könnten verhindern, dass sich der Keim weiter ausbreitet." Chefarzt Wolfgang Thomas ist überrascht, vielleicht auch enttäuscht, dass trotz aller Vorsichts- und Hygienemaßnahmen, es den Ärzten und Pflegern auf der Kinderintensivstation des Trierer Mutterhauses nicht gelungen ist, den Serratia-Keim einzudämmen.Drohende Blutvergiftung


Das an sich harmlose Bakterium kommt überall in der Natur vor. Viele Menschen tragen es in sich, ohne zu erkranken. Gefährlich, im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohend, kann der Keim aber für Frühgeborene werden. Sie haben keine Möglichkeit, sich gegen Serratia marcescens, wie der Keim heißt, zu wehren. Bei einer Infektion kann er zu einer tödlichen Blutvergiftung führen.
Am 21. Oktober ist das Mutterhaus, das als einzige Klinik in der Region eine Frühgeborenenstation hat, an die Öffentlichkeit gegangen. Bei sieben Frühchen waren zu diesem Zeitpunkt die Keime nachgewiesen worden. Erkrankt daran war keines.
Als der siebte Serratia-Fall festgestellt wurde, sei klar gewesen, dass "wir die Ausbreitung nicht in den Griff bekommen", sagte damals Oliver Kunitz, medizinischer Geschäftsführer des Mutterhauses. Die Kinderintensivstation und vorsorglich auch die benachbarte Frühchenstation, ohne dass dort die Keime nachgewiesen worden waren, sind seitdem geschlossen. Es werden keine neue Patienten mehr aufgenommen. Für absolute Notfälle, für frühgeborene Kinder, die einen Transport in eine andere Klinik womöglich nicht überleben würden, ist eine Behelfs-Intensivstation aufgebaut worden. Vier Kinder werden dort laut Thomas derzeit behandelt. Das dort arbeitende Personal habe keinen Kontakt zu jenem auf der Intensiv- und der Frühchenstation. Deswegen hätten zusätzliche Pfleger rekrutiert werden müssen. Einige hätten freiwillig auf Urlaub oder freie Tage verzichtet, andere arbeiteten trotz Ruhestands oder der Beschäftigung in anderen Praxen aushilfsweise auf der Notstation. Thomas spricht von einer "logistischen Herausforderung". 200 sogenannte Risiko-Babys, also etwa Frühchen oder schwer kranke Neugeborene, kommen pro Jahr im Mutterhaus zur Welt.Ungeklärte Herkunft


Doch alle Vorsichtsmaßnahmen haben nicht dazu geführt, dass sich der Keim nicht weiter verbreitet. Seitdem das Mutterhaus über sein Auftreten informiert hat, ist er bei fünf weiteren Kindern festgestellt worden. "Wir haben keine Erklärung, wo der Keim herkommt", sagt Chefarzt Thomas. Die Verantwortlichen stehen damit vor einem Rätsel. Die Eltern der betroffenen Kinder reagierten besonnen, sagt der Chefarzt. Er geht davon aus, dass das letzte Kind Anfang kommenden Jahres die Intensivstation verlassen wird. Erst dann kann mit der vermutlich zwei Tage dauernden Grunddesinfektion begonnen werden. Erst dann sollen wieder neue Patienten aufgenommen werden. Die benachbarte Frühgeborenenstation wird vermutlich schon Ende dieser Woche geräumt. Ob sie bereits dann oder erst zusammen mit der Intensivstation desinfiziert werde, sei noch nicht klar, sagt Thomas. Der Chefarzt weist ausdrücklich dar-auf hin, dass die Station mit den gesunden Neugeborenen und die Wöchnerinnenstation nicht betroffen sind. Frauen ohne Risikoschwangerschaft könnten ganz normal im Mutterhaus entbinden. Offenbar haben die Nachrichten über die Keime auf der Kinderintensivstation nicht bewirkt, dass die Zahl der Geburten in der Klinik zurückgeht. Im Gegenteil: Sie liege derzeit über der Zahl im gleichen Zeitraum 2012, sagt Thomas.Meinung

Richtig reagiert
Gefährliche und resistente Keime in Kliniken sind keine Seltenheit. Immer wieder sorgen sie für Infektionen bei Patienten. Häufig müssen Stationen geschlossen werden, um die Ausbreitung der Bakterien einzudämmen. Wenn ausgerechnet auf einer Kinderintensivstation, wo Ärzte fast täglich um das Leben von klitzekleinen Frühchen kämpfen, solche Keime festgestellt werden, sind Eltern und Mediziner zu Recht alarmiert. Das Trierer Mutterhaus ist da aber kein Einzelfall, wie aktuell die Leipziger Uni-Klinik zeigt. Den Verantwortlichen des Mutterhauses kann nach Lage der Dinge im Umgang mit den Serratia-Keimen kein Vorwurf gemacht werden. Sie haben richtig reagiert. Auch wenn sie erst zwei Monate nach den ersten Fällen damit an die Öffentlichkeit gegangen sind - und erst dann die betroffene Station dicht gemacht haben. Sie haben von Anfang an das zuständige Gesundheitsamt informiert, sofort die Hygienemaßnahmen verschärft und versucht, die Ausbreitung einzudämmen. Kein Kind ist bis jetzt zu Schaden gekommen. Nun muss lückenlos geklärt werden, wie sich trotz aller Sicherheitsmaßnahmen der Keim weiter verbreiten konnte. Jedes zusätzliche Risiko für die ohnehin geschwächten Frühchen muss ausgeschlossen werden. b.wientjes@volksfreund.de

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