Auf die Messerstiche folgt der Kuss

Wegen versuchten Totschlags muss sich seit gestern eine 54-jährige Frau aus Daun (Vulkaneifelkreis) vor dem Trierer Landgericht verantworten. Sie soll um ein Haar sich und ihren Ehemann getötet haben.

Trier. Ist es vorstellbar, dass eine Frau ihrem Ehemann ein Messer in den Rücken jagt, sich danach selbst zwei Mal in den Bauch sticht - und beide später, beim ersten Wiedersehen nach Not-Operation und Klinik-Aufenthalt, nicht ein einziges Wort über das blutige Intermezzo verlieren? "Wir wollten das Ganze nur vergessen", sagt die wegen versuchten Totschlags angeklagte 54-jährige Ehefrau beim gestrigen Prozessauftakt, "wir wollten uns nicht mehr daran erinnern, haben einfach alles unter den Teppich gekehrt."

Ein paar Minuten zuvor, zu Beginn einer Pause, kommt ihr vor der Tür wartender Ehemann in den Sitzungssaal. Er gibt seiner bereits wieder Handschellen tragenden Frau einen Kuss, bis ein Justizbediensteter dazwischen geht und die beiden trennt. "Ihr seht euch ja später noch", sagt Verteidigerin Anne Bosch.

Es ist ein knappes Jahr her, dass es in ihrer Dauner Wohnung zwischen den 1993 aus Kasachstan übergesiedelten Eheleuten zu der blutigen Auseinandersetzung kam. "Wir hatten uns mal wieder gestritten", lässt die kaum Deutsch sprechende Angeklagte den Dolmetscher übersetzen. Ein Streit wie Dutzende andere zuvor, die aus dem gleichen Anlass entbrannten: "Ich habe getrunken, weil mein Mann mir immer alles verboten hat", sagt die Frau. Wegen ihres Alkoholkonsums sei der Ehemann regelmäßig ausgerastet und habe sie auch häufiger geschlagen - "mit der flachen Hand oder der Faust". Ohne dass sie sich dagegen gewehrt habe. "Ich liebe ihn doch, deshalb habe ich alles erduldet", sagt die Angeklagte.

"Die Polizei war weg, da schlug er mich wieder"



Erduldet bis zu jenem September-Abend vergangenen Jahres. Da rief eine Nachbarin auf Bitten der Angeklagten erst die Polizei, die kam und den Ehemann ermahnte. Doch der Streit ging anschließend weiter. "Er war sauer, dass ich die Polizei gerufen habe, und hat mich anschließend wieder ins Gesicht geschlagen", sagt die 54-Jährige. "Und dann?", fragt die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz. Sie habe weiter getrunken, sagt die Angeklagte, aber an den Rest könne sie sich nicht mehr erinnern. "Ich bin erst im Krankenhaus wieder zu mir gekommen", sagt sie unter Tränen, um nach einer kleinen Pause fortzufahren: "Aber ich liebe ihn."

Nach der Anklageschrift von Staatsanwalt Sebastian Jakobs hat die mit über zwei Promille stark alkoholisierte Frau später in der Küche ein Messer mit 17 Zentimeter langer Klinge geholt und es ihrem auf der Couch sitzenden Ehemann in den Rücken gejagt. Danach stach sie sich selbst zweimal in den Oberbauch. Beide wurden lebensgefährlich verletzt.

Kann ein Mann seiner Ehefrau einen solchen Angriff verzeihen? Ist es vorstellbar, dass das Ehepaar seitdem nie wieder über den blutigen Vorfall gesprochen hat? Vor nicht allzu langer Zeit hat dieselbe Kammer zwei Frauen am Ende eines spektakulären Verfahrens zu zwölf und zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Die beiden 59- und 42-Jährigen, Mutter und Tochter, hatten 1999 den Ehemann und Vater getötet, den Leichnam nach Südfrankreich verfrachtet und dort versteckt.

Die Parallele zum aktuellen Fall: Auch die beiden Frauen sprachen später nie wieder miteinander über den gewaltsamen Tod des 61-Jährigen; als habe es den Mann und die Gewalttat nicht gegeben. Verdrängen, verschweigen - womöglich auch eine Methode, mit einem derart grausamen Ereignis fertig zu werden.

Der Prozess gegen die Frau aus Daun wird heute fortgesetzt.

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