Bauern, Läufer, Türme und Könige im Landtag

Mainz · Alle sind gleich, aber manche sind gleicher als andere: Im rheinland-pfälzischen Landtag sitzen 101 Abgeordnete, von denen nur rund ein Drittel etwas zu sagen hat. In dem streng hierarchischen System muss man sich hochdienen.

Mainz. Politik ist ein kompliziertes Spiel. Oft ähnelt eine Plenarsitzung des Landtags einer Partie Schach. Die wichtigsten Figuren rücken in den Vordergrund und bemühen sich, den Gegner matt zu setzen. Was nie gelingt. Deshalb geht es eher darum, entweder die Regierung und die sie tragenden Fraktionen von SPD und Grünen oder andersherum die CDU-Opposition strategisch auszuhebeln.
Wer sind die Bauern, Springer, Läufer, Türme, Damen und Könige auf dem Feld? Was sind ihre Aufgaben? Der Volksfreund macht eine Bestandsaufnahme. Die Könige: Im Schach gibt es nur Könige, aber im Landtag zwei Königinnen: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Oppositionsführerin Julia Klöckner (CDU) sind die mit Abstand wichtigsten Figuren. Ohne sie läuft nichts. Sie bestimmen die Themen und wie diese gespielt werden. Alle Aktivitäten von Rot-Grün sind darauf ausgerichtet, Königin Dreyer vor Angriffen zu schützen. Die Opposition attackiert sie hingegen pausenlos. Die Damen: Im Schach sind das die effektivsten Figuren, weil sie sich auf allen Feldern frei bewegen können. Am ehesten füllt diese Rolle Jacqueline Kraege (SPD) aus, Chefin der Staatskanzlei. Wenngleich keine Abgeordnete, wohnt sie allen Sitzungen des Landtags bei, koordiniert effektiv und geräuschlos im Hintergrund. Die Fraktionen SPD, CDU und Grüne haben jeweils eine Spitze. Sie besteht zunächst aus den Chefs Hendrik Hering (SPD), Julia Klöckner (CDU) und Daniel Köbler (Grüne). Immer, wenn es wichtig ist, ergreifen diese Drei als Erste das Wort. Sie haben dieses Recht. Dann klicken die Fotoapparate und surren die Fernsehkameras, die schreibenden Journalisten spitzen die Stifte, die Besucher auf der Tribüne horchen auf. Aktuelle Stunden des Landtags werden maßgeblich von diesem Trio geprägt.
. Die Türme: Am ehesten sind die parlamentarischen Geschäftsführer Barbara Schleicher-Rothmund (SPD), Hans-Josef Bracht (CDU) und Nils Wiechmann (Grüne) mit der Schachfigur des Turms zu vergleichen. Sie sorgen etwa für geordnete Abläufe und treten oft auch ans Rednerpult.
Die Stellvertreterriege der Fraktionen tritt ans Mikrofon, wenn das jeweilige Fachgebiet betroffen ist. Beispiele: Astrid Schmitt (SPD) und Jutta Blatzheim-Roegler (Grüne) im Bereich Verkehr, Anne Spiegel (Grüne) bei Frauenförderung oder Integration, Christian Baldauf (CDU) bei Wirtschaft, Adolf Weiland (CDU) bei Finanzen, Alexander Licht (CDU) bei Infrastrukturprojekten wie Nürburgring oder Flughafen Hahn. Ihnen ist hohe Aufmerksamkeit gewiss. Ein "Methusalem" wie Carsten Pörksen (SPD), vor einem Monat 70 geworden und seit 1991 im Parlament, ergreift übrigens praktisch das Wort, wenn es ihm beliebt. Pörksen ist auch einer derjenigen, die oft mit Zwischenrufen versuchen, den Redner am Pult aus dem Konzept zu bringen. Die Läufer: In schnurgerader Linie diagonal übers Feld ziehen, um den Gegner zu stellen, am besten zu schlagen: Das ist die Aufgabe von Volksvertretern wie Bettina Brück (SPD), Anke Beilstein (CDU) oder Bernhard Braun (Grüne). Alle drei kommen sehr häufig im Landtag zu Wort, erheblich mehr als andere. Das hat zum einen damit zu tun, dass ihre Themenfelder - bei Brück Bildung, bei Beilstein Kommunales und bei Braun Energie - sehr gefragt sind. Zum anderen aber auch damit, dass sie hier jeweils als Spezialisten gelten, die darüber hinaus sprachgewandt sind. Die Springer: Diese Figuren kommen im Landtag ähnlich zum Zuge wie die Läufer, nur nicht ganz so oft wie diese. Als Beispiele können Parlamentarier wie Michael Hürter (SPD, Polizei), Matthias Lammert (CDU, Polizei), Hans-Jürgen Noss (SPD, Kommunen), Axel Wilke (CDU, Justiz), Katharina Raue (Grüne, ebenfalls Justiz), Anna Neuhof (Grüne, Umwelt) oder Ingeborg Sahler-Fesel (SPD, Soziales) und Fred Konrad (Grüne, Gesundheit) gelten, die in ihren Fachgebieten Spezialisten sind. Die Bauern: Drei Fraktionen, 101 Abgeordnete - und die überwiegende Mehrheit von ihnen fristet im Landtag ein Dasein als Bauer. Anders als beim Schach werden sie in der Landespolitik aber nicht geopfert, um einen strategischen Vorteil zu erlangen.
Der Begriff Bauer ist keinesfalls despektierlich gemeint. Er steht für Abgeordnete, die beharrlich, fleißig und unaufgeregt Detailarbeit verrichten - im stillen Kämmerlein. Denn da die Redezeit im Landtag streng limitiert ist, kommen diese Volksvertreter nur sehr selten, manchmal gar nicht zu Wort. Allenfalls dann, wenn die Besuchertribüne leer ist und die Journalisten schon abgezogen sind, weil sie ihre Beiträge schreiben oder senden müssen. Am Ende bleibt die Frage, wie man überhaupt vom Bauern zum Läufer oder Turm wird. Am meisten zählt die Erfahrung. Nur wer bereits seit zwei oder mehr Wahlperioden dem Parlament angehört, hat Chancen, in gehobene Positionen zu rücken.
Man muss schon sehr viel Talent besitzen, bestens vernetzt sein und eine Aufgabe hervorragend meistern, um schneller aufzusteigen. So wie etwa Rechtsanwalt Clemens Hoch (SPD) aus Andernach, der im Nürburgring-Untersuchungsausschuss auffiel und nach nur einer Legislaturperiode in der Staatskanzlei landete, dem Zentrum der Macht.

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