Berliner Reize

MAINZ. Überraschendes Stühlerücken ein halbes Jahr nach der Regierungsbildung in Mainz: Jürgen Zöllner, dienstältester Wissenschaftsminister der Republik und seit 15 Jahren Ressortchef, ereilte ein Ruf in den Berliner Senat. Durch die Übernahme seines Ressorts steigt Bildungsministerin Doris Ahnen zur Super-Bildungsministerin auf.

Auch wenn Floskeln allzu oft strapaziert würden, in diesem Fall treffe es präzise seine Stimmung, sagte Jürgen Zöllner, bevor er in der Staatskanzlei von dem lachenden und dem weinenden Auge sprach, mit denen er sein Mainzer Amt verlasse. Ein sichtbarer Anflug von Wehmut machte deutlich, dass er sich die Entscheidung, als Bildungs- und Wissenschaftssenator nach Berlin zu gehen, nicht leicht gemacht hatte. "Ohne Illusion und nicht blauäugig, aber voller Tatendrang und Vorfreude" macht sich der Kabinetts-Senior nach eigenen Angaben auf den Weg an die Spree. Für vier renommierte Hochschulen von der Freien Universität bis zur Charite zuständig zu sein und dabei die Berliner Bildungspolitik von der Kindertagesstätte bis zur Wissenschaft zu leiten, ist für ihn die "denkbar reizvollste Aufgabe". Dass die Berliner Landeskassen leer sind, schreckt ihn nicht, hat er doch auch in Rheinland-Pfalz stets betont, gute Politik hänge nicht allein von Geld ab. Er sieht in dem Wechsel eine persönliche Herausforderung und den Charme, mit 61 Jahren noch einmal etwas Neues anzupacken. Geteilt war auch die Abschiedsstimmung bei Ministerpräsident Kurt Beck, der Zöllners Entscheidung zwar bedauerte, jedoch in Hochachtung und tiefer Freundschaft respektiert, wie er versicherte. "Einige Gespräche" hatte es laut Beck in den vergangenen Wochen gegeben, bevor ihn Zöllner vor ein paar Tagen über seine Entscheidung informierte. Wieder ein klassisches Kultusministerium

Zöllner zählt zu den wenigen engen Beratern Becks. Die besondere Freundschaft werde weiterhin für gute menschliche und politische Verbundenheit sorgen, betonte der Regierungschef und bescheinigte seinem Stellvertreter, mit der rheinland-pfälzischen Hochschul- und Wissenschaftspolitik und der Ansiedlung von Forschungsinstituten bundesweit beachtete Zeichen gesetzt zu haben. Zöllner habe zudem jungen Menschen immer den freien Zugang zu Hochschulen gewährleistet. Für Beck lag es nahe, das Wissenschafts- und Kulturministerium künftig Bildungsministerin Doris Ahnen zu übertragen, die als Büroleiterin und Staatssekretärin in Zöllners Ressort gearbeitet hat, bevor sie 2001 Chefin eines eigenständigen Ministeriums wurde. Damit erhält Rheinland-Pfalz wieder ein klassisches Kultusministerium mit den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Da Ahnen die Zuständigkeit für die Jugendpolitik behält, ist sie für den kompletten Bildungsweg vom Kindergarten an verantwortlich. Die Zuständigkeit für Frauenpolitik gibt sie an Sozial- und Familienministerin Malu Dreyer ab. Neuer stellvertretender Ministerpräsident wird Innenminister Karl Peter Bruch. Mit dem früheren Polizeibeamten verbindet Beck ein langer gemeinsamer politischer Weg. Bruch war bereits von 1991 bis 1995 als Parlamentarischer Geschäftsführer die rechte Hand des damaligen SPD-Fraktionschefs Beck. Die FDP bedauert den Weggang Zöllners. Über 15 Jahre sei der Minister in fairem Umgang eine verlässliche Stütze der gemeinsamen Koalition gewesen, sagte Fraktionschef Herbert Mertin. Für CDU-Fraktionschef Christian Baldauf ist Zöllners Abschiedsbilanz "wenig überzeugend". Mit einer unzureichenden Finanzierung der Hochschullandschaft, der verfassungsrechtlich umstrittenen Landeskinderregelung zum Schutz vor Studiengebühren oder den Finanzproblemen der Mainzer Uniklinik hinterlasse der Minister viele offene Baustellen.

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