Beten, dass nichts passiert

DAUN. Wut, Enttäuschung, Ignoranz - diese Gefühlspalette beherrscht ein kleines Eifeldorf im Kreis Daun. Dort lebt ein Rentner, der wegen schweren sexuellen Missbrauchs an vier Jungen verurteilt wurde, aber nach wie vor auf freiem Fuß ist.

"Es ist eine absolute Unverschämtheit, dass der immer noch frei rumläuft", ärgert sich eine Einheimische. Sie kann die Wut und Enttäuschung der Familie L., deren Sohn Tobias (sämtliche Namen von der Redaktion geändert) sechs Jahre lang von dem mittlerweile 64-jährigen Rentner missbraucht wurde, sehr gut verstehen. "Wir wollen doch nur in Ruhe leben, aber solange er noch im Dorf lebt, geht das nicht", beschreibt Tobias' Mutter, Maria L., die aktuelle Situation. Die Eltern haben Angst vor der Eskalation, vor Wutausbrüchen der Opfer, wenn sie dem Rentner begegnen. Maria L. berichtet: "Wenn ich auf der Arbeit bin, bete ich immer, dass zu Hause nix passiert." Ihr Sohn Tobias antwortet: "Noch habe ich meine Aggressionen im Griff, aber der Hass auf ihn ist für das, was er mir angetan hat, nach dem Prozess noch größer geworden." Sein Freund Thomas (ebenfalls Opfer) sagt: "Wenn ich den sehe, kommt alles wieder hoch, und ich werde wütend." Heikle Situationen entstehen in der 150-Seelen-Gemeinde permanent. Unbewusst schürt ein älterer Bürger die brodelnde Stimmung. Beiläufig meint er beim Straße fegen: "Wenn der ja noch zu Hause ist, kann es so schlimm nicht gewesen sein." "Die Leute schweigen lieber alles tot", schimpft dagegen eine Einheimische. Über das Ausmaß der Straftaten, vom Oral- bis Analverkehr, wird im Dorf nur hinter vorgehaltener Hand geredet. Thomas' Mutter, Gertrud E., versteht die Welt nicht mehr: "Er geht sogar wieder mit anderen Kindern rund ums Dorf spazieren." Der Rentner treffe sich mit anderen Senioren, die teilweise unbekümmert ihre Enkel mitnähmen.Nichts für zarte Gemüter

Dabei ist das Studium der Urteilsbegründung und des Protokolls von der Vernehmung des Angeklagten durch die Kripo Wittlich nichts für zarte Gemüter. Danach brachte der Beschuldigte den damals neunjährigen Tobias bereits 1995 dazu, bei ihm sexuelle Handlungen zu vollziehen. Bei fünf Gelegenheiten von März 1999 bis März 2000 habe der Angeklagte bei Tobias, "nachdem man sich zunächst in der üblichen Art stimuliert habe, den Verkehr durchgeführt." Mit einem anderen Jungen soll laut Urteil der Rentner in diesem Zeitraum zwei Mal Verkehr gehabt haben. Der Rentner bestritt im Prozess, dass es zum Analverkehr gekommen sei. Das Gericht war anderer Meinung. Auf Seite zehn der Urteilsbegründung steht: "Die Kammer hat keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit der Zeugenaussagen betreffend den Vorwurf des Analverkehrs zu zweifeln." Überhaupt versuchte der Beschuldigte, sich im Prozess als Opfer darzustellen. Das wurde ihm ebenso wie die "geringe Betroffenheit", die er hinsichtlich der Tatvorwürfe zeigte, zum Nachteil. In den Jahren von 1994 bis 2000 hatte er mit großzügigen Geschenken permanent Kontakt zu den vier Jungen gehalten. Außerdem konnten sie auf seinem Anwesen "tun und lassen, was sie wollten." Es wurde "Alkohol zur Verfügung gestellt, und sie konnten Pornovideos gucken". Der Rentner gab an, bei allen Fällen stark alkoholisiert gewesen zu sein. Ein Facharzt für Psychiatrie stellte aber bei einer Untersuchung am 13. November 2003 "keine Hinweise auf Einbußen der hirnorganischen Leistungsfähigkeit sowie auf alkoholinduzierte Persönlichkeits- oder Wesensänderungen" fest. Auf Grund dieses Gutachtens ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte bei den Taten schuldfähig war. Die Kripo-Beamten fanden im Haus des Beschuldigten drei halbautomatische Pistolen samt Munition. Der Rentner hat keine Waffenbesitzkarte, und die Pistolen waren nicht registriert. Dafür muss er sich in einem separaten Verfahren verantworten.

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