Bremse für staatlichen Übermut

TRIER. Wo die "amtlichen" Handlungen öffentlich-rechtlicher Institutionen und die Interessen privater Personen, Gruppen oder Unternehmen aufeinander prallen, walten hierzulande die Verwaltungsgerichte. So wie die Kammer von Richter Reinhard Dierkes am VG Trier.

Reinhard Dierkes sitzt auf der Sonnenseite der Justiz. Zumindest räumlich. Seit er mit seinen 12 Richterkollegen und den gut 20 Mitarbeitern vor zehn Jahren in das ehemalige Finanzamt am Irminenfreihof umzog, verfügt die Verwaltungsgerichtsbarkeit über die ansehnlichsten Arbeitsplätze im Trierer Justizwesen. Helle, großzügige Räume, solide Ausstattung, im Sitzungssaal sogar so was wie Kunst am Bau. Das klingt hochtrabend, aber die Alltags-Rechtssprechung beim VG hat viel mehr mit dem "Normalbürger" zu tun, als man denkt. Sechs Kammern amtieren hier, und sie entscheiden über Denkmalschutz und Baurecht, Asylanträge und Jagdrechtsstreitigkeiten, Bestattungs- und Atomrecht, Partei- und Kirchenrechtsfragen, Flurbereinigung und Disziplinarangelegenheiten. Jahrelang dominierten Asylrechts-Fälle die Arbeit. Auf "60 bis 70 Prozent" schätzt Reinhard Dierkes den Anteil vor Änderung der gesetzlichen Grundlagen. Seither hat sich das Aufkommen halbiert. Das gibt Dierkes und seinen Kollegen in der 5. Kammer Gelegenheit, sich verstärkt dem Schwerpunkt Baurecht zu widmen. Die drei Berufsrichter "arbeiten als Kollegial-Organ", betont der Vorsitzende. Wechselnd übernehmen sie die Rolle des Berichterstatters, der die einzelnen Verfahren im Detail vorbereitet. Kurz vor Sitzungsbeginn gibt es ein "Briefing" mit den beiden ehrenamtlichen Richtern, die die Kammer in den meisten Verfahren komplettieren. Anders als ihre Kollegen in Zivilverfahren haben Verwaltungsrichter den amtlichen Auftrag, die objektive Wahrheit zu ermitteln. Sie müssen sich also nicht auf den mehr oder minder substanziellen Vortrag der Parteien beschränken, sondern können direkt eingreifen. Im Gegensatz zu Strafrichtern entscheiden sie dabei aber nicht über einen Angeklagten, sondern zwischen zwei Parteien. Sie können also ihre starke Stellung nutzen, um auf einen Interessenausgleich zu drängen. "Die Kuh vom Eis kriegen" nennt das Reinhard Dierkes. Und dafür macht er im Verlauf des Verfahrens klare Ansagen. "Da sind wir nicht so auf ihrer Linie", sagt er beispielsweise zum Anwalt eines Unternehmens, das eine Baugenehmigung erklagen will. So weiß der Verteter frühzeitig, was er von der Kammer zu erwarten hat und kann seine Strategie darauf einstellen. Manchmal wirkt sich eine solche "Linie" sogar auf die Politik aus. Die Rechtssprechung von Dierkes' Kammer in Sachen Windkraft-Anlagen war ständiges DiskussionsThema bei den Debatten um die Raumplanung in den Kommunalparlamenten. Rund 100 Windmühlen drehten sich bereits vor der 5. Kammer, fast an jedem der drei monatlichen Verhandlungstage stehen sich Anlagenbetreiber und Verwaltungen gegenüber. Auch an diesem Morgen geht es wieder um die "Weißen Riesen", diesmal am Rand des Naturparks Saar-Hunsrück. Der Betreiber will bauen, die Ortsgemeinde ist dafür, der Kreis blockt. Routiniert werden Argumente ausgetauscht, nur der Ortsbürgermeister, trotz klirrender Kälte in offenen Sandalen, versteht die Welt nicht mehr. "Wir sind doch dafür, und anderswo geht's doch auch", sagt er. Es gebe aber "keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht", sagt Richter Dierkes. Die Kammer wird wohl ihrer skeptischen Linie treu bleiben, der Betreiber sein Recht bei der nächsten Instanz, dem OVG in Koblenz suchen. Wo es um weniger Grundätzliches geht, schafft das Verwaltungsgericht oft eine Erledigung in erster Instanz. Häufig muss die Kammer aber zu diesem Zweck erst mal allgemeine Rechtsgrundsätze vermitteln. So wie bei dem Anwohner eines Wirtschaftswegs in einem gemütlichen Hochwald-Örtchen. Die Gemeinde duldet, dass ein örtlicher Bauunternehmer dort seinen kleinen Fuhrpark abstellt. Straßenrechtlich ist das nicht erlaubt, und so will der Häusle-Besitzer den Ortsbürgermeister zwingen, künftig einzuschreiten. Aber den Anspruch, rechtswidriges Handeln abzustellen, hat im deutschen Rechtssystem nur, wer auch persönlich davon geschädigt wird. Das aber sei bei einigen wenigen LKW-Fahrten nicht der Fall, meint Richter Dierkes. Alle Appelle Richtung Einigung fruchten angesichts des Nachbarschaftsstreites nicht. Dann sei "eine klare Entscheidung allemal sinnvoller als ein fauler Vergleich", sagt Dierkes. Auch wenn sie die Kammer einiges an Aufwand kostet. Aufwand scheut man auch nicht, wenn es darum geht, sich vor Ort kundig zu machen. Ein junges Paar will in einem entlegenen Weiler, der zur Stadt Trier gehört, ein Grundstück bebauen - die Stadtverwaltung macht dagegen Denkmalschutzgründe geltend. Die Kammer fährt mit Mann und Maus vor Ort. Der unmittelbare optische Eindruck erleichtert die Entscheidung: Die Baugenehmigung wird wohl erteilt werden. Der Staat ist hierzulande nicht allmächtig - da passen die Verwaltungsgerichte schon auf.

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