Clemens Wenzeslaus, der letzte

Das Entsetzen der Koblenzer Bevölkerung war groß am 5. Oktober 1794. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Flucht des Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Sachsen. Der hatte sich mit seiner Jacht und großen Teilen des Hofstaats zum zweiten Mal binnen zwei Jahren aus seiner Residenzstadt abgesetzt.

 Das Kurfürstliche Schloss in Koblenz: Es wurde von 1777 bis 1793 im Auftrag von Clemens Wenzeslaus erbaut. Foto: Gauls

Das Kurfürstliche Schloss in Koblenz: Es wurde von 1777 bis 1793 im Auftrag von Clemens Wenzeslaus erbaut. Foto: Gauls

Diesmal aber klammheimlich und für immer. Der letzte souveräne Herrscher über das Kurfürstentum Trier betrat nie wieder linksrheinischen Boden. Sein unsouveräner Abgang nach Augsburg markierte zugleich den Untergang des Trierer Kirchenstaates nach mehr als einem Jahrtausend. Am 27. Juli jährt sich sein Todestag zum 200. Mal.
Clemens Wenzeslaus war als Hoffnungsträger in sein Amt als Kurfürst und Erzbischof von Trier gestartet. Seit Balduin von Luxemburg (Regierungszeit 1307 bis 1354) habe es "keinen Trierer Landesherrn aus einem einflussreicheren Fürstengeschlecht mehr gegeben. Er stand mit den wichtigsten europäischen Herrscherhäusern in enger verwandtschaftlicher Beziehung", betont der Trierer Historiker Karl-Josef Gilles (62). Clemens Wenzeslaus August Hubertus Franz Xaver, geboren am 28. September 1739 auf Schloss Hubertusberg bei Wermsdorf, war das 14. von 15 Kindern des Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen und König von Polen und Maria Josefa, Tochter des deutschen Kaisers Josef I. Großvater väterlicherseits war der sächsische Kurfürst und polnische König August der Starke, der Dresden zum "Elbflorenz" ausgebaut hatte.
Onkel französischer Könige


Clemens Wenzeslaus seinerseits war Onkel dreier französischer Könige, allen voran Ludwig XVI., der 1793 durch die Guillotine starb. Zu diesem Zeitpunkt stand auch der Trierer Kurfürst längst im Visier der französischen Revolutionäre.
Als Clemens Wenzeslaus am 21. Februar 1768 sein Amt in Kurtrier antrat, konnte er noch nichts von den Wirren ahnen, die später ganz Europa erfassen und grundlegend verändern sollten. Er, der zunächst eine Militärlaufbahn angestrebt und als österreichischer Feldmarschallleutnant an der Schlacht bei Torgau (3. November 1760) teilgenommen hatte, entschied sich aber dann für den geistlichen Stand und machte schnell Karriere. 1763 wurde er Bischof von Freising und von Regensburg. Diese Bistümer gab er nach fünf Jahren ab, um Erzbischof und Kurfürst von Trier und zusätzlich Bischof von Augsburg zu werden; außerdem war er Fürstabt von Prüm und ab 1787 Fürstpropst von Ellwangen.
Als geistlicher Kurfürst kam Clemens Wenzeslaus in eine Doppelfunktion: Als Kurfürst war er Landesherr des Erzstiftes Trier und als Erzbischof der Oberhirte des (deutlich größeren) Bistums, das um 1790 540 Pfarreien mit 340 000 Katholiken und knapp 1700 Geistlichen umfasste. Als einer der sieben Kurfürsten hatte er das Wahlrecht für den deutschen König, als Erzbischof war er zuständig für die Suffraganbistümer Metz, Toul und Verdun. Triers neuer Landesherr zeigte sich den Ideen der Aufklärung zugetan, förderte das Schulwesen, war bestrebt, Bildung und Wohlstand zu heben, und zeigte Toleranz gegenüber Protestanten. Auch unpopuläre Maßnahmen scheute er nicht. So reduzierte er die Zahl der Feiertage von 38 auf 19 und schränkte die Vielzahl von Prozessionen ein.
Den Großteil seiner Regentschaft verbrachte Clemens Wenzeslaus nicht in der Hauptstadt Trier. In Koblenz spielte für ihn die Musik, und das durchaus im wörtlichen Sinne. Der Kunstliebhaber ließ dort außer dem kostspieligen Schloss auch ein öffentliches Theater errichten.
Der Ausbruch der französischen Revolution 1789 brachte die Wende. Der verängstigte Clemens Wenzeslaus, in politischen Fragen wohl leicht beeinflussbar, rückte vom Reformkurs und dem Geist der Aufklärung ab und wandelte sich zum Reaktionär. Tausenden Emigranten und geflüchteten Mitgliedern des ihm verwandten französischen Hofes bot er Zuflucht in Koblenz, das jetzt Mittelpunkt der französischen Royalisten war.
Doch immer wieder drangen französische Revolutionstruppen auf kurtrierisches Gebiet vor. 1792 flüchtete der Kurfürst erstmals in sein zweites Bistum nach Augsburg und konnte auf das Verständnis der Koblenzer bauen. Als die Luft wieder rein war, kehrte er zurück, um in der Nacht-und-Nebel-Aktion des 5. Oktober 1794 erneut und für immer das Weite zu suchen. Als zwei Wochen später auch die kaiserlichen Truppen abzogen und sich auf der anderen Rheinseite in der Festung Ehrenbreitstein verschanzten, sahen sich die Koblenzer schutzlos der französischen Invasion ausgesetzt. General Marceau zog mit seinen Soldaten am 24. Oktober fast ohne Gegenwehr in die Stadt ein. Trier stand bereits seit 9. August unter französischer Herrschaft. Der Trie rer Kurstaat hatte aufgehört zu existieren.
Der Friede von Luneville (9. Februar 1801) machte Clemens Wenzeslaus endgültig zum Fürsten ohne Land. Das linksrheinische Erzstift Trier fiel an Frankreich, die rechtsrheinischen Gebiete an Nassau, das Fürststift Augsburg an die Reichsstadt Augsburg und die Fürstpropstei Ellwangen an Württemberg. Mit einer Pension von 100 000 Gulden zog sich Triers letzter Kurfürst nach Augsburg zurück und starb am 27. Juli 1812 auf seinem Sommersitz in Marktoberdorf im Allgäu. Der Heilige Rock, seit 1628 vorwiegend in der Festung Ehrenbreitstein aufbewahrt und von Clemens Wenzeslaus nach Augsburg mitgenommen, kehrte 1810 nach Trier zurück.
Clemens Wenzeslaus\' 200. Todestag wird an seinen einstigen Wirkungsstätten mehr oder weniger groß begangen. Marktoberdorf widmet seinem beliebten Sommerfrischler eine große Veranstaltungsreihe (in der Karl-Josef Gilles am 18. Juli einen Vortragsabend bestreitet). In Koblenz, wo sein Schloss anlässlich der Bundesgartenschau 2011 hübsch herausgeputzt wurde und nun öffentlich zugänglich ist, sind mehrere Bücher erschienen. In Trier stehen unter anderem ein Symposium in der Stadtbibliothek am 16. und 17. November auf dem Programm.

Roland Morgen
Extra

Clemens Wenzeslaus\\' aus heutiger Sicht irößte Tat ist die Einführung des Qualitätsweinanbaus. Am 30. Oktober 1787 traf er eine Anordnung von nachhaltiger Wirkung: Binnen sieben Jahren musste die unter dem Namen "rheinisch" bekannte Rebsorte, die Trauben mit schlechten Eigenschaften und reichlich Säure lieferte, ausgerottet und durch "gute" Reben - vornehmlich Riesling - ersetzt werden. Diese Anordnung wurde im gesamten Herrschaftsbereich des Trierer Kurfürsten rigoros umgesetzt. Lediglich in den Randbereichen des Territoriums wie etwa an der Obermosel bei Nittel, Wincheringen, Nennig, Besch und Perl, wo enge Verflechtungen mit Frankreich und dem Herzogtum Luxemburg bestanden, konnte sie nicht unmittelbar von den kurtrierischen Behörden durchgesetzt werden.

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