Luxemburg Die Grenzschließung und das Gefühl der Abweisung

Trier/Luxemburg · Wissenschaftler der Universitäten der Großregion bescheinigen der Politik eine mangelhafte Kommunikation über Grenzen hinweg.

 Protestaktion gegen die Schließung der Grenze zwischen Luxemburg und Deutschland: Demonstranten verpassen dem Heiligen Willibrord eine Europa-Schutzmaske.

Protestaktion gegen die Schließung der Grenze zwischen Luxemburg und Deutschland: Demonstranten verpassen dem Heiligen Willibrord eine Europa-Schutzmaske.

Foto: dpa/Harald Tittel

Wo tausende Menschen vom 16. März an in der Hochphase der Corona-Krise an der Grenze zu Luxemburg abgewiesen wurden, sind Wut, Verzweiflung und Ärger auf beiden Seiten der Grenze hochgekocht. Und auch in Belgien und Frankreich haben antideutsche Ressentiments zugenommen. „Viele Menschen haben nach 35 Jahren Schengener Abkommen eine Grenzschließung immer als Horrorszenario gesehen. Nun haben sie erfahren, dass dies tatsächlich über Nacht geschehen kann“, sagt Martina Kneip, Mitinitiatorin der Initiative „Schengen is alive“ und Direktorin des Centre Européen in Schengen.

Gemeinsam mit rund 100 Wissenschaftler aus der gesamten Großregion ist sie in einem digitalen Rundtischgespräch der Frage nachgegangen, wie die Grenzschließungen das Zusammenleben in der Großregion verändert haben. Dabei stellen die Forscher der Politik ein mangelhaftes „Grenzmanagement“ aus bis hin zu einer Bankrotterklärung vor allem der nationalen Kommunikationspolitik.

 „Der Austausch zwischen den Hauptstädten und den politischen Funktionsträgern auf einer Ebene funktionierte in der Krise gut. Aber davon hatten die persönlich Betroffenen nichts“, resümiert Philipp Krämer, Professor für Sprachgebrauch und Sprachvergleich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Heißt: Wo sich die Politik auf Staatschefebene einig über ihr Vorgehen war, wurden Familien auseinandergerissen, Grenzgänger vom Übertritt zum Arbeitsplatz abgehalten und seit Jahren bestehende Grenzkooperationen gekappt. „Hinzu kommt eine ungeschickte rhetorische Strategie. Bis zur Grenze erklärt man der Bevölkerung, warum man etwas macht, darüber hinaus nicht“, sagt der Forscher. Das verursache bei den Grenznachbarn ein Gefühl der Abweisung, zumal dann, wenn Partnerregionen wie Grand Est ein Label wie „Risikogebiet“ verpasst bekämen oder man den Grenzübertritt nur aus „triftigen Gründen“ erlaube.

Dass weder die deutsche, noch die luxemburgische, belgische oder französische Bevölkerung für diese Form der Politikdarstellung Verständnis zeigt, beweisen bürgerschaftliche Aktionen wie die Initiative „Keep Schengen alive“, also „Erhalte Schengen am Leben“, die viele dazu animierte, an jedem Dienstag die Europafahne herauszuhängen und die Europahymne zum Protest zu singen oder die Facebook-Gruppe „Oppe Grenzen an Europa“, die innerhalb kürzester Zeit mehr als 11 000 Mitglieder rekrutiert hat. „Auch wenn es ein natürlicher Reflex ist, in einer Krise nur nach sich zu schauen, so zeigt sich doch, dass viele die grenzüberschreitende Kooperation suchen“, sagt Patrick Barthel, Vizepräsident der Universität Lothringen und Leiter des deutsch-französischen Zentrums Lothringens.

Dass eine „Renationalisierung in einer Grenzregion wie der Großregion nicht mehr möglich“ ist, davon ist Florian Weber von der Universität des Saarlandes und dem Zentrum für Grenzstudien an der Universität der Großregion überzeugt: „Welch extrem hohe Alltagsrelevanz die Großregion für alle hat, hat sich doch in der Krise gezeigt. Die Verflechtungen sind extrem groß“, sagt er. „Diese Verflechtungen treiben die Menschen an, und das ist mehr als nur das Einkaufen über die Grenzen hinweg. Die Grenzschließungen wurden daher vielfach als Akt der Hilflosigkeit interpretiert“, weiß Christian Wille, Grenzraumforscher an der Universität Luxemburg und Leiter des Netzwerks Zentrum für Grenzstudien an der Universität der Großregion (UniGR).

Die Forscher haben aber auch Erwartungen an die Politik, vor allem an die Verantwortlichen in der Großregion: „Statt Selbstkritik und die Übernahme an Eigenverantwortung wurde die Verantwortung schnell nach Berlin oder Paris geschoben“, bemängelt Sprachforscher Krämer. Die Großregion sollte die Verantwortung im Gegenteil auch bei sich suchen. „Unsere Errungenschaft ist doch gerade, dass wir den Austausch wollen. Und das Verständnis für den anderen fängt im Kleinen an“, stellt Grenzraumforscher Weber fest. Folglich spricht sich sein Kollege Wille für mehr Selbstbewusstsein in der Grenzregion aus: „Die Verantwortlichen müssen klären, wie sich die Großregion künftig gegenüber den Hauptstädten aufstellt.“

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