Fernsehen Daily-Talk-Jubiläum: Vor 30 Jahren plapperten sie bei Hans Meiser los

Köln · „Arabella“, „Bärbel Schäfer“ und „Andreas Türck“: In den 90er Jahren saßen im Fernsehen reihenweise Normalos in Runden zusammen und waren nicht selten ziemlich auf Krawall gebürstet. Vor 30 Jahren begann mit Hans Meiser die Ära der Nachmittagstalkshows in Deutschland.

Fernsehen: Daily-Talk-Jubiläum: Vor 30 Jahren plapperten sie bei Hans Meiser los
Foto: dpa/Horst Ossinger

Wer sich in den 90ern und ersten Jahren des aktuellen Jahrtausends durch das Nachmittagsprogramm des deutschen Fernsehens zappte, konnte schnell Zeuge interessanter Auseinandersetzungen werden. Der Ablauf war grob gesagt so: Ein Mensch betrat die Bühne eines Fernsehstudios und präsentierte eine ziemlich steile These - etwa: „Ich bin stolz, eine Schlampe zu sein.“ Woraufhin ein weiterer unbekannter Mensch aus der Kulisse trat, der gänzlich anderer Meinung war und das mit starken Argumenten zu untermauern versuchte („Ich kann Schlampen eigentlich nicht leiden“). Der so entfachte Konflikt glitt recht schnell ins Emotionale ab.

Wer dabei gewesen ist, wird sich erinnern: So oder so ähnlich funktionierten die täglichen Talkshows am Mittag, die von 1992 an einen etwa zehnjährigen Boom erlebten. Die erste Sendung im deutschen Fernsehen, die man dem Genre Daily Talk zurechnen kann, liegt genau 30 Jahre zurück. Am 14. September 1992 strahlte RTL die erste Folge von „Hans Meiser“ aus, von und mit Hans Meiser (heute 76).

Warum ein Rückblick auf dieses recht prägende Kapitel TV-Geschichte heute noch lohnt, sieht man schon an der Tatsache, dass Sat.1 gerade an einer Wiederkehr des versunken geglaubten Daily Talks arbeitet. Britt Hagedorn (50) – schon früher mit dabei – soll vom 24. Oktober an wieder werktäglich talken. Die Themen lassen erahnen, dass es der Sender ernst mit dem Revival meint: Avisiert sind Schlagabtausche zu „Tattoosucht – du siehst aus wie Karneval!“ und „Spätes Mutterglück – ist das dein Enkel?“. Das ist der der pure Sound von damals.

Wer glaubt, dass heutige Reality-Shows (auch gerne „Trash-TV“ genannt), in denen D-Promis mit Geschichten über Sex oder Verdauung aufwarten, eine gänzlich neue Stufe des Intimitäten-TV wären, der dürfte die damaligen Quasselrunden tagsüber vergessen haben. Zeitweise schienen alle Dämme zu brechen.

Der Vorteil des Talk-Türöffners Meiser – heute etwa für Werbeauftritte für dubiose Finanzprodukte auch in der Kritik – war, dass er seinen Ruf als arrivierter Nachrichtenmann in die Waagschale werfen konnte. Neu war an dem Format nämlich fast alles für damalige Sehgewohnheiten. Es sprachen Menschen, die keine Promis waren. Es wurde täglich gesendet. Und kein Thema war den Diskutanten fremd.

„Wir waren die Ersten, die dem normalen kleinen Mann auf der Straße eine Stimme gegeben haben. Und ich glaube, das war der Erfolg der Sendung“, sagt Meiser heute. Wobei es am Anfang gar nicht mal so gut gelaufen sei. „Wir hatten quasi keine messbare Quote. So die ersten vier, fünf Wochen - da waren wir gar nicht existent“, sagt er. Das habe sich aber bald geändert. „Dann bretterte das hoch.“ Zu Spitzenzeiten schauten irgendwann drei bis fünf Millionen Menschen zu. „Ich gebe zu: Ich konnte manchmal nicht schlafen wegen dieser Quote“, sagt Meiser. „Weil ich dachte: Die kann kein Mensch halten.“

Die Konkurrenz zog natürlich nach. Schon bald pflasterten Talks das Programm. Mehr als 20 Daily-Talk-Formate wurden zwischen 1992 und 2003 ausgestrahlt, wie in Fachliteratur nachzulesen ist. Der Höhepunkt war demnach etwa 1998 erreicht: Mehr als 14 Millionen Menschen schauten täglich eine der Sendungen. Noch heute klingelt es in den Ohren, wenn man die Namen der Moderatoren hört, die damals zu Schwatzrunden einluden: Ilona Christen (RTL), Arabella Kiesbauer (ProSieben), Vera Int-Veen (Sat.1), Bärbel Schäfer (RTL), Sonja Zietlow (Sat.1), Andreas Türck (ProSieben), Oliver Geissen (RTL), Britt Hagedorn (Sat.1). Die ARD schickte den betont nachdenklichen Pastor Jürgen Fliege ins Rennen. Manche Talker blieben länger, manche kürzer. Ricky Harris etwa sendete nur 1999 und 2000.

Die Shows waren nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung relativ günstig zu produzieren und „lebten von den Effekten und Affekten“. „In ihrer Vermittlung sachlicher Informationen“ seien sie „als eher gering“ eingeschätzt worden, so die Analyse. Vielmehr hätten sie viele Zuschauer als unterhaltende „Freakshow“ rezipiert.

„Ich strippe für mein Leben gerne“, „Mein Freund ist pervers“, Pickel, Hexen, Exhibitionisten – die Themen waren in jedem Fall schrill. Gefühlt wurde auch ständig ein Vaterschaftstest präsentiert. Sichtlich aggressive Männer brüllten: „Wie kann ein Mensch sagen, dass ich aggressiv bin!!!“ Und immer wieder standen Zuschauer aus dem Publikum auf, von denen nie ganz klar war, ob sie wirklich mitdiskutieren oder einfach nur mal ins Fernsehen wollten.

Die grelle Sonne der täglichen Talker ging Anfang der Nullerjahre unter, als unter Quotendruck ein regelrechter Exodus einsetzte. Es begann die Ära eines neuen Genres – der Gerichtsshows. Barbara Salesch, Alexander Hold und Ruth Herz verdrängten mit nachgespielten Kriminalfällen die etablierten Plauder-Moderatoren.

Wobei die TV-Richter den Talkern auch Hoffnung machen könnten. Salesch jedenfalls ist auf der Retro-Welle kürzlich zurück ins Fernsehen gespült worden – nach zehn Jahren Pause. Ihre Quote beim Comeback bei RTL war: gut.

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