Interview Heinz-Peter Meidinger „Dann war der Pakt ein Schuss in den Ofen“

Trier · Der Chef des Deutschen Lehrerverbands fordert mehr Geld für Digitales und einen Kurswechsel des Landes beim Zentralabitur.

 Grundschüler lernen mit Stift und Tablet: Die Digitalisierung an den Schulen bleibt auch in Rheinland-Pfalz eine Daueraufgabe.

Grundschüler lernen mit Stift und Tablet: Die Digitalisierung an den Schulen bleibt auch in Rheinland-Pfalz eine Daueraufgabe.

Foto: dpa/Armin Weigel

Als Chef des Deutschen Lehrerverbands kommt Heinz-Peter Meidinger weit rum – sogar bis nach Trier. Jüngst feierte der bayerische Gymnasiallehrer an der Mosel den 70. Geburtstag von Malte Blümke nach, dem Ex-Landeschef des Philologenverbands. Wenig Grund zum Feiern sieht Meidinger indes beim deutschen Bildungssystem. Im Interview mit TV-Landeskorrespondent Florian Schlecht kritisiert Meidinger die lasche Umsetzung des Digitalpakts, die rheinland-pfälzische Haltung zu einem Zentralabitur, hausgemachten Lehrermangel und fehlende Mittel bei der Integration.

Wo steht Deutschland, wenn wir uns die Digitalisierung an Schulen als Bundesliga-Tabelle vorstellen?

HEINZ-PETER MEIDINGER Es gibt eine Reihe von Ländern, die vor uns liegen. Führend sind für mich Staaten, die einen guten Mix aus fortgeschrittener Technik und entsprechender Medienpädagogik anbieten. Dazu gehören pädagogische Konzepte, Endgeräte, die Schüler in der Schule und zu Hause nutzen können, eine gute W-Lan-Ausleuchtung und eine professionelle Wartung der IT-Infrastruktur. In Deutschland müssen oft noch Lehrer an den Geräten herumschrauben. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Estland fasziniert mich dagegen.

Was macht Estland besser als Deutschland?

MEIDINGER Estland hat ein einheitliches Konzept, bei dem die Technik der Pädagogik folgt. Dort berauscht man sich nicht alleine an der Internet-Euphorie. Das Land hat zwar weniger Schüler, als Bayern Lehrer hat. Aber in Deutschland haben wir alleine zwei quälend lange Jahre gebraucht, bis der Digitalpakt überhaupt auf den Weg gekommen ist. Jetzt habe ich den Eindruck, dass jedes Land, jede Kommune was anderes macht. Es wird zu Insellösungen kommen, was falsch ist. Meist sind die Kommunen und Sachaufwandsträger zuständig, Technik zu bestellen. Die wissen oft aber gar nicht, was die Schulen wirklich brauchen.

 Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes und Schulleiter des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf (Bayern).

Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes und Schulleiter des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf (Bayern).

Foto: picture alliance/dpa/Armin Weigel

Wann profitieren Schüler endlich vom Digitalpakt?

MEIDINGER Ich habe große Zweifel, dass viele Schulen schon nach den Sommerferien in den Genuss kommen, von den Mitteln des Digitalpaktes zu profitieren. Das wird vermutlich deutlich länger dauern. Die Förderbedingungen sind sehr spät festgelegt worden. Und das nächste Problem bahnt sich bereits an: In fünf Jahren braucht es neue Milliarden, um die IT-Infrastruktur erneut zu modernisieren. Muss der Bund sparen und fließt dann nicht genügend Geld, haben gerade finanzschwache Länder wie Rheinland-Pfalz ein Problem. Dann war der ganze Pakt ein Strohfeuer oder ein Schuss in den Ofen.

Bei Rheinland-Pfalz haben Sie zuletzt angemerkt, dass es sich als einziges Land nicht beim zentralen Abi-Aufgabenpool einbindet. Ärgert Sie das?

MEIDINGER Rheinland-Pfalz ist nach wie vor das einzige Land, das kein Zentralabitur hat. Das macht es noch schwerer, ein vergleichbares Abitur in Deutschland zu bekommen. Das ist aber gerade das Gebot der Stunde!

Warum?

MEIDINGER Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zur Mediziner-Zulassung festgestellt, dass das Abitur in Deutschland nicht vergleichbar ist. Irgendwann hat das zur Folge, dass Hochschulen die Abiturdurchschnittsnote nicht mehr heranziehen dürfen, wenn sich Studenten bewerben. Damit würde das Abitur massiv entwertet. Außerdem zeigte das Chaos um das diesjährige Matheabitur, wo einzelne Länder anschließend einseitige Noten aufgewertet haben, dass das ganze Modell des freiwilligen Aufgabenpools gescheitert ist.

Wie ist das Problem zu lösen?

MEIDINGER Es gibt den Vorschlag aus Baden-Württemberg von der dortigen Kultusministerin, ein einheitliches Abitur in Deutschland an denselben Tagen zumindest in drei Kernfächern zu machen: Mathe, Deutsch und eine fortgeführte Fremdsprache. Das wäre ein möglicher Weg, das Abitur als einheitliches, vergleichbares, aussagekräftiges Instrument zu erhalten. Sind die Aufgaben in einem Jahr schwerer als üblich, betrifft das alle Schüler – und nicht nur die in einem einzelnen Bundesland. Einen solchen Schritt müssen wir natürlich vorbereiten. Wir können Schüler nicht von heute auf morgen durch ein Zentralabitur hetzen. Vielleicht einigen sich die Länder aber auch auf einen Zwischenschritt, einen verbindlichen Aufgabenpool.

Deutschlandweit herrscht Lehrermangel – gerade bei Grundschulen. In Rheinland-Pfalz lobt sich das Bildungsministerium dafür, dort alle Stellen besetzt zu haben. Ist das Land ein Vorbild?

MEIDINGER Es gibt kein wirkliches Musterland bei der Lehrerversorgung. Aber Rheinland-Pfalz und auch Bayern haben offensichtlich einiges mehr richtig gemacht als andere Länder, weil sie kaum auf Quereinsteiger in den Lehrerberuf angewiesen sind. Berlin hat dagegen vor Jahren zahlreiche Lehramtsstudienplätze gestrichen. Dann kamen ein massiver Geburtenanstieg und die Flüchtlingswelle, durch die 230 000 Kinder im schulpflichtigen Alter in die Schulen gekommen sind. Jetzt fehlen die Lehrer. Drei von vier neu eingestellten Grundschullehrkräften in Sachsen und Berlin haben keine pädagogische Ausbildung. Das ist ein Skandal.

Die „Welt“ beschrieb jüngst ein umgekehrtes Szenario: In wenigen Jahren könnte es zur Lehrerschwemme kommen. Wie schätzen Sie das ein?

MEIDINGER Für uns als Lehrerverband ist es eine schwere Kiste, wie wir mit dem Lehrermangel umgehen sollen. Die Studentenzahlen schnellen beim Grundschullehramt inzwischen hoch, weil es als Mangelfach gilt. Wenn die fertig werden, sind vielleicht kaum mehr Lehrerstellen da, weil die dann überwiegend von Quereinsteigern besetzt sind.

Ist bei den Flüchtlingen die Mammutaufgabe der Integration in den Schulen abgeschlossen?

MEIDINGER Wir erleben, dass der Übergang von Willkommensklassen auf die Regelschulen schwerfällt. Es ist illusorisch zu glauben, dass Kinder ein Jahr lang die Sprache gelernt haben und schon fit genug sind, dem gesamten Unterricht zu folgen. Es gibt nach wie vor einen beträchtlichen Teil an Schülern, die eine weitergehende Zusatz-Förderung bräuchten, sie aber nicht bekommen, weil die Mittel fehlen. An meinem Gymnasium in Bayern würde ich mir da auch mehr Unterstützung wünschen.

Wie gehen Sie mit solchen Schülern um?

MEIDINGER Man versucht, aus vorhandenen Möglichkeiten noch alles rauszupressen. Wenn dafür aber ein anderer Wahlkurs gestrichen werden muss, gibt es eventuell Unfrieden an der Schule. Das Thema ist sensibel.

Was fordern Sie von der Politik?

MEIDINGER Schulen sollten für jeden Schüler, der noch Sprachförderung braucht, eine Lehrerstunde mehr zur Verfügung bekommen. Das würde helfen.

Bei der Inklusion fühlen sich viele Lehrer überfordert. Ist sie gescheitert?

MEIDINGER Schwarz-Weiß-Malerei bringt uns nicht weiter. Wir sollten aber endlich eine ehrliche Bestandsaufnahme machen und überdenken, was sich bewährt hat und was nicht. Ich spreche mich dafür aus, dass Förderschulsystem parallel beizubehalten. Im besten Fall braucht es in den Inklusionsklassen immer zwei Lehrer, die sich um die Schüler kümmern. Doch der Wunsch lässt sich kaum in die Tat umsetzen. Leider haben wir gerade an Förderlehrern deutschlandweit einen riesigen Mangel.

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