Das Ende einer Reform

Die von der schwarz-gelben Koalition angestrebte Reform der Mehrwertsteuersätze scheint bis auf weiteres verschoben. Nun sollen es andere richten: FDP und CDU würden eine Umstellung auf EU-Ebene begrüßen.

Berlin. Die angekündigte Neuregelung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze soll offenbar in der politischen Versenkung verschwinden. In der schwarz-gelben Koalition wird dazu jetzt offiziell eine europäische Lösung favorisiert. Doch die EU ist von einer Einigung weit entfernt.

Die Liste der Ausnahmen erinnert an das Inventarverzeichnis eines Kuriositätenkabinetts: Gewürze wie Majoran oder Basilikum werden mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent belegt. Auf Gewürzmischungen sind dagegen 19 Prozent fällig. Langusten sind ebenfalls vom Fiskus begünstigt, genauso wie Hundefutter. Garnelen oder Babywindeln jedoch nicht. Ursprünglich hatte man die Steuernachlässe aus sozialen Gründen eingeführt. Doch daraus ist längst eine Spielwiese für einflussreiche Lobby-Gruppen geworden. Inzwischen gilt der ermäßigte Satz für mehr als 50 Produktgruppen.

Zuletzt war Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) bei dem Versuch gescheitert, den Wildwuchs zu beschneiden. Das war im Jahr 2003. Nun sollte es einen Neuanlauf geben. In ihrer Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2009 sprechen Union und FDP sogar von einer großangelegten "Systemumstellung". Doch das Versprechen wird immer mehr zum Windei.

"Es muss zunächst einmal eruiert werden, wie man überhaupt in der Sache vorgeht", drückte der Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses, Volker Wissing (FDP), gestern auf die Bremse. Das System der Mehrwertsteuer, so Wissing weiter, sei "auf europäischer Ebene versaut worden". Und dort müsse es auch wieder korrigiert werden.

"Union und FDP fehlt der Mut."



Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU) pflichtete dem Liberalen bei: "Wir würden eine Einigung auf der europäischen Ebene immer begrüßen", sagte Meister unserer Zeitung. Im Regierungslager glaubt allerdings niemand ernsthaft an eine solche Lösung. Schließlich sind die Lobby-Gruppen in der EU mindestens genauso einflussreich wie in Deutschland.

Der Verweis auf Europa kommt in den Augen der Opposition dann auch einer Beerdigung des Regierungsvorhabens gleich. "Union und FDP fehlt der Mut, sich für eine neue Struktur zu entscheiden", sagte die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, unserer Zeitung. Das verheerende Echo auf die Blitzentscheidung, den Hoteliers die Steuer zu ermäßigen, hat bei Schwarz-Gelb zweifellos tiefe Spuren hinterlassen. So sperrt sich vor allem die CSU gegen jede Reformbemühung, weil der hochumstrittene Beschluss dann erneut auf die politische Tagendordnung käme. Ohne eine Rückabwicklung der Steuerbegünstigung für das Gastgewerbe wäre das gesamte Vorhaben in der Öffentlichkeit aber kaum vermittelbar.

Haushalte mit geringem Einkommen profitieren



Hinzu kommt, dass von den 23 Milliarden Euro, die den Staat die ermäßigten Steuersätze kosten, insbesondere Privathaushalte mit geringen und mittleren Einkünften profitieren. Denn je höher die verfügbaren Bezüge sind, desto weniger fällt die Mehrwertsteuer ins Gewicht. Würden alle ermäßigten Sätze durch eine volle Besteuerung ersetzt, dann müsste nach einer gestern veröffentlichen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Familie mit zwei Kindern im unteren Einkommensbereich (rund 2200 Euro monatlich) etwa 74 Euro mehr ausgeben, um das gewohnte Konsumniveau zu halten. Bei einem ledigen ALG-II-Empfänger wären es rund 20 Euro zusätzlich. All das würde die Diskussion über soziale Gerechtigkeit neu befeuern.

Wohl auch deshalb hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon vor Monaten öffentlich bezweifelt, ob der ganze Ärger am Ende überhaupt lohne, zumal im kommenden Jahr gleich in sechs Bundesländern neu gewählt wird.

Stichwort Die Mehrwertsteuer: Die Umsatzsteuer - auch Mehrwertsteuer genannt - ist vom Aufkommen her eine der bedeutendsten Steuern in Deutschland. Es gibt zwei Mehrwertsteuersätze: den allgemeinen Regelsatz, der 2007 von 16 auf 19 Prozent angehoben wurde. Hinzu kommt der ermäßigte Satz von sieben Prozent, der unter anderem für fast alle Lebensmittel, Bücher, Zeitungen und bestimmte Kunstgegenstände gilt. (dpa)

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