„Das Ende von Schengen droht“ - Politikwissenschaftler Joachim Schild im Volksfreund-Interview

Trier · Weil die EU-Außengrenzen nicht ausreichend kontrolliert werden, wird nun darüber diskutiert, die Grenzen innerhalb des sogenannten Schengen-Raums zu schließen. Im TV-Interview äußert sich der Trierer Politikwissenschaftler und EU-Experte Joachim Schild zu den Folgen. Die Fragen stellte unser Redakteur Bernd Wientjes.

Herr Schild, wie beurteilen Sie die derzeitige Diskussion über eine Einschränkung, Aussetzung oder gar Aufgabe des Schengen-Abkommens?
Joachim Schild: Offene Außengrenzen des Schengenraums führen zu einer Schließung von immer mehr Binnengrenzen. Da der aktuelle Zustand völlig unzureichend kontrollierter Außengrenzen der EU kein Dauerzustand werden kann und darf, ist eine Diskussion über den Umgang mit dem Schengener Abkommen und der Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums eine logische Konsequenz. Dies gilt so lange, bis eine verlässliche Kontrolle der Außengrenzen wiederhergestellt ist. Davon sind wir derzeit leider weit entfernt.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Schengen auseinanderbricht?
Schild: Ein völliges Auseinanderbrechen ist kurzfristig wenig wahrscheinlich. Der Rat der Europäischen Union kann aber auf Empfehlung der Kommission die Anwendung des Schengener Abkommens für zwei Jahre aussetzen, wenn anhaltende schwerwiegende Mängel bei der Sicherung der Außengrenze zu beobachten sind. Momentan prüft die Kommission, ob dies der Fall ist, und wird wahrscheinlich zu genau diesem Ergebnis kommen.

Was würde das konkret bedeuten?
Schild: De facto könnte dies das Ende des Schengen-Systems einläuten. Damit wäre eine aus Sicht der Bürger zentrale Errungenschaft europäischer Integration von hoher praktischer wie symbolischer Bedeutung Vergangenheit. Alles hängt jetzt von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen bis Mai und der Fähigkeit zur Rückgewinnung der Kontrolle über die Schengen-Außengrenzen ab, vor allem in Griechenland.

Stichwort: Griechenland. Kann das Land oder können generell einzelne Staaten vom Schengen-Abkommen ausgeschlossen werden?
Schild: Gegen seinen erklärten Willen kann kein Mitgliedsstaat aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden. Ein De-facto-Ausschluss ist gleichwohl denkbar, wenn eine kleinere Gruppe von Schengenstaaten eine Art Mini-Schengen mit wirksamen Kontrollen an ihren Außengrenzen, aber Reisefreiheit innerhalb dieses verkleinerten Schengenraums einführen würde. Eine solche Verkleinerung des Schengenraums würde aber gewiss sehr komplizierte europarechtliche Probleme aufwerfen.

Was würde für unsere Grenzregion die Wiedereinführung von Grenzkontrollen bedeuten?
Schild: Es liegt auf der Hand, dass gerade Grenzregionen wie der Saar-Lor-Lux-Raum und insbesondere die Pendler besonders unter einer Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen im Schengenraum leiden würden. Einen Eindruck von den Konsequenzen konnten französische Grenzpendler nach Luxemburg in den letzten Wochen schon bekommen. Nach den Terroranschlägen in Paris im November hat Frankreich ja die Grenzkontrollen an seinen Außengrenzen wieder eingeführt, was zu ganz erheblichen Wartezeiten und Staus beim Grenzübertritt nach Luxemburg geführt hat. wie

Zur Person
Joachim Schild (53) ist seit 2003 Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Uni Trier. Der Saarbrücker hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaft, Soziologie und Romanistik studiert. wie

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