Das gescheiterte Talent

MAINZ. Er galt als großes Talent, war politischer Vordenker und Haushaltsexperte. Doch wenn es entscheidend wurde, klebte ein Verlierer-Image wie Pech an ihm: Nach zwei Wahlschlappen, Rücktritt als Landespartei- und Fraktionschef wird Christoph Böhr am kommenden Montag auch sein letztes herausgehobenes Amt als CDU-Bundesvize los.

Wenn sich die Christdemokraten zu Wochenbeginn beim Dresdener Parteitag mit ihrer Zukunft beschäftigen, spielt Christoph Böhr dabei keine Rolle mehr. Der Ex-Landesparteichef wird mit dem stellvertretenden Bundesvorsitz seinen letzten gewichtigen Anker in Partei und Politik verlieren. Kaum hatte der Trierer nach dem Desaster bei der Landtagswahl im März seinen Rücktritt verkündet, da meldete bereits der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus Ambitionen auf den begehrten Vize-Posten hinter CDU-Chefin Angela Merkel an. Allerdings wird in Dresden nicht der Ostdeutsche, sondern der machtbewusste Hesse Roland Koch auf den Platz, den Böhr seit 2002 auf ausdrücklichen Wunsch Merkels besetzte, nach vorne rücken - in die Stellvertreterriege mit Annette Schavan, Jürgen Rüttgers und Christian Wulff. Wie Koch gehörte auch Böhr zu den ehemals "jungen Wilden" in der Union, die zudem dem sagenumwobenen "Andenpakt" zugerechnet werden. In dem Männer-Zirkel haben sich nach seiner Gründung 1979 auf einem Flug über die Berge Südamerikas karriereorientierte Jungpolitiker der Union zusammengefunden. Doch während Mitkämpfer wie Koch, der Niedersachse Wulff, der Baden-Württemberger Günther Oettinger, der Saarländer Peter Müller oder der Hamburger Ole von Beust inzwischen an der Spitze ihrer Bundesländer stehen, hat Böhr in diesem Jahr seinen dramatischen Absturz erlebt, der über kurz oder lang im Rückzug des 52-Jährigen aus der Politik enden dürfte. Dabei hatte der Doktor der Philosophie und Kant-Kenner als langjähriger Vorsitzender der Jungen Union (JU) in den 80er-Jahren die besten Karten für eine steile Karriere. Immer wieder mal bezog er - wie es sich für die JU gehört - gegen die Parteispitze Stellung, aber Helmut Kohl schätzte ihn als klugen Kopf. In den harten Grabenkämpfen der rheinland-pfälzischen CDU stand Böhr an der Seite Bernhard Vogels, was ihm der nur vorübergehend siegreiche Hans-Otto Wilhelm nach Vogels Sturz 1988 nie nachsah. Dennoch entschied sich Böhr weiter für einen landespolitischen Weg und nicht für die Lockungen der Bundespolitik. Selbst als Parteipatriarch Kohl Ende 1993 verfügte, dass der in der Landespartei nicht sonderlich geschätzte Mainzer Bundestagsabgeordnete Johannes Gerster als neuer Vorsitzender den jahrelangen Kampf zwischen "Wilhelmianern" und "Vogelianern" beenden sollte, brachte dies den Trierer nur kurzfristig aus dem Tritt. Er übernahm dafür im Zuge des proklamierten "Aufbruchs" 1994 erstmals die Führung der Landtagsfraktion. Von Anfang an gab es auch Vorbehalte

Nach der CDU-Niederlage mit Spitzenkandidat Gerster bei der Landtagswahl 1996 stand für Böhr und seine Mannen endgültig fest, dass der von Kohl geschickte, aber gescheiterte vermeintliche Parteibefrieder nur eine Episode sein sollte. Den Fraktionsvorsitz räumte er für den hemdsärmeligen Gerster nur so lange, bis der nach etlichen eigenen Fehlern, aber vor allem nach wachsendem und geschürtem Widerstand ein Jahr später aufgab und für die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung die Reise nach Jerusalem antrat. Unter dem neuen Hoffnungsträger Böhr wurde anschließend wieder einmal ein Neubeginn ausgerufen. Aber von Anfang an gab es auch Vorbehalte gegen den für viele allzu intellektuellen Oppositionsführer. Böhrs Dilemma: Nicht seine Politik, seine Person stand in der Kritik. Zu kopflastig waren seine Ansätze, zu wenig kommunikativ sein Argumentieren. Das Helmut Kohl zugeschriebene Zitat "Der kann net mit de Leut" machte die Runde. Erst recht nach der Wahlschlappe 2001 stand der CDU-Vormann parteiintern unter massivem Druck. Beim offenen Rumoren in der Fraktion wurden ihm Akzeptanzprobleme und mangelnde Ausstrahlung vorgehalten. Doch Böhr zeigte nicht nur unerwartete Steher-Qualitäten, er profitierte auch von der Uneinigkeit seiner Widersacher, die sich vor allem aus dem Lager rekrutierten, das früher einmal Hans-Otto Wilhelm nahe stand. Der Unentschlossenheit seiner Kritiker um die drei Bezirksvorsitzenden Joachim Hörster, Kurt Lechner und Peter Rauen sowie einem wenig überzeugenden Herausforderer Rauen hatte er letztlich auch den Sieg im zermürbenden Spitzenkandidaten-Wettstreit für die Wahl 2006 zu verdanken. Gegen den volksnahen Amtsinhaber Kurt Beck hatte der kopfbestimmte Böhr allerdings nie wirklich eine Chance. Nie fand er den gewinnenden Kontakt zu den Wählern. Nach seinem Rücktritt löste Böhr so lautlos die von ihm geführte, durchaus beachtete CDU-Wertekommission auf, dass es sogar der eigenen Partei nicht auffiel. Ebenso lautlos agiert der Trierer Landtagsabgeordnete Böhr, der sich im Plenum in die letzte Reihe zurück- gezogen hat und zum Schweiger wurde. Kein Wort zum Streit um die abgehängten Kreuze im Trierer Landgericht, obwohl dies für den Verfechter von Grundüberzeugungen und christlicher Ethik ein ideales Thema hätte sein müssen. Fragen, wohin Böhrs weiterer Weg führt, sind ungeklärt. Bei einigen seiner Vertrauten macht sich sogar Unmut über Parteichefin Merkel breit, die bisher offenbar keine sonderliche Anteilnahme am politischen Schicksal ihres Noch-Stellvertreters nahm. Während eines Besuchs der Landtagsfraktion in Berlin zeigte sie ihm ziemlich deutlich die kalte Schulter. Immer wieder aufkommende Spekulationen um einen Wechsel zur Konrad-Adenauer-Stiftung kommentiert er locker mit einem: "Haken Sie es ab" - und genießt nach einer längeren Frustphase wiedergewonnene Lebensqualität. Von der Politik wird der homo politicus wohl kaum ganz lassen. Sicher scheint gleichwohl, dass diese Wahlperiode seine letzte im Landtag sein wird.

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