Das Land fährt den Ring vor die Wand

Nürburg · Der rheinland-pfälzischen Landesregierung stehen stürmische Zeiten bevor. Eine der berühmtesten Rennstrecken auf dem Globus – der Nürburgring – muss nach einem Bericht der Rhein-Zeitung meistbietend vom Insolvenzrichter verkauft werden, weil eine Landesgesellschaft in die Pleite gesteuert wurde.

Wenn die EU-Wettbewerbsbehörde ihre Entscheidung zum Nürburgring demnächst offiziell verkündet, dürfte dies Rot-Grün Negativschlagzeilen bescheren, die europaweit, wenn nicht weltweit Aufmerksamkeit erregen. Der Imageschaden für den Nürburgring lässt sich kaum beziffern. Motorsportfans von nah und fern werden fassungslos die Köpfe schütteln. Da spielt es fast schon keine Rolle mehr, dass das Ring-Desaster ein gefundenes Fressen für die Opposition darstellt. Leichter kann man es dem politischen Gegner tatsächlich kaum machen.

Alle Blicke werden nun zu dem künftigen Insolvenzverwalter gehen. Er wird zum Steuermann der Neuordnung. Sobald er eingesetzt wurde, vereint er (nahezu) alle Macht in seinen Händen. Die Politik hat ihre Chance gehabt - und verspielt.

Dennoch wird die rot-grüne Landesregierung nach der laut Rhein-Zeitung anstehenden Abfuhr aus Brüssel alles tun, um zumindest einen letzten Rest ihres Gesichts zu wahren. Vielleicht kann sie durchsetzen, dass zumindest die legendäre Nordschleife nicht verscherbelt wird. Vielleicht erreicht sie, dass ein paar Traditionsrennen Bestandsschutz erhalten, dass etwas vom öffentlichen Charakter des Nürburgrings übrig bleibt. Immerhin sitzt Rot-Grün mit der nahezu landeseigenen Nürburgring GmbH im Gläubigerausschuss, dem der Insolvenzverwalter verantwortlich ist. Als Hauptgläubiger (und Hauptgeldgeber) hat die Stimme des Landes Gewicht.

Doch das Heft des Handelns hat die Landesregierung nicht mehr in der Hand. Darin liegt ein großes Risiko. Der Insolvenzverwalter kümmert sich um keinerlei politische Vorgaben. Er beurteilt die Ring-Immobilien rein wirtschaftlich. Insolvenzverwalter sind nüchterne Zahlenmenschen, die sich den finanziellen Interessen der Gläubiger verpflichtet fühlen. Doch der Nürburgring ist ein hoch emotionales Terrain.

Der einzige Vorteil, den der Gang zum Insolvenzrichter bietet, ist die Tatsache, dass nun der schnelle Schnitt erfolgt. Der neue starke Mann oder die neue starke Frau am Ring müssen auf nichts mehr Rücksicht nehmen. Das könnte die Neuordnung forcieren. Das angestrebte Schiedsverfahren zwischen den (gekündigten) privaten Pächtern und dem Land dürfte passé sein. Der Vertrag, der als Basis für eine Schlichtung dienen sollte, war zuletzt 30 bis 40 Seiten dick. Nun wird sich das Zeitfenster für eine gütliche Einigung mit einem Schlag schließen. Der Insolvenzverwalter muss Geld eintreiben - schnell und kompromisslos.

Abzuwarten bleibt, wie er sich gegenüber den Pächtern, der privaten Betreibergesellschaft NAG (Nürburgring Automotive GmbH) verhält. Drückt er die Räumungsklage durch, wenn die vereinbarte Pacht nicht fließt? Oder bleiben die Gesellschafter Jörg Lindner und Kai Richter vorerst in der Eifel, weil es (derzeit) keine erfolgsversprechende Alternative gibt? Pacht sollen sie ja inzwischen zahlen, auch wenn die 3,2 Millionen Euro schwere Spielbankabgabe weiter strittig ist.

Die NAG, die heftig beklagt hat, beim Brüsseler Verfahren außen vor geblieben zu sein, könnte bei der Neuordnung übrigens mit am Gläubiger-Tisch sitzen. Auch sie erhebt finanzielle Ansprüche. Schließlich stellt sich die Frage aller Fragen: Wer wird Teile oder gar den ganzen Nürburgring erwerben? Lindner und Richter müssten einen potenten Investor bringen.

Weitere Interessenten stehen angeblich schon in den Startlöchern - unter anderem aus der Autozuliefererbranche.

Das Bittere für den Steuerzahler ist: All die Beruhigungspillen, die das Land ihm über die Jahre verabreicht hat, waren Placebos, leere Versprechen ohne Wirkung. Die Rheinland-Pfälzer werden Hunderte Millionen Euro für den Murks am Ring bezahlen. Nahezu alle Prognosen waren falsch: die zu den Besuchern, die zu den Umsatzzahlen, die zum Beihilfeverfahren. Am Ende bleibt ein großes schwarzes Loch. Die 254 Millionen Euro Rücklage, die das Land als finanzielles Netz gespannt hat, sind in der Überschuldungsbilanz der Nürburgring GmbH bereits komplett eingeplant. Das lässt sich in dem (gescheiterten) Antragspaket zur EU-Rettungsbeihilfe nachlesen.

Angesichts der Mega-Pleite in der Eifel wird sich nun die Frage nach der politischen Verantwortung stellen. Die Grünen können immerhin noch darauf verweisen, dass sie zu Oppositionszeiten eindringlich vor den Risiken eines Beihilfeverfahrens gewarnt haben. Anders sieht es mit der SPD aus. Ministerpräsident Kurt Beck hat lange Zeit immer wieder zu suggerieren versucht (vielleicht sogar daran geglaubt), dass die Freizeitparkkonzeption am Nürburgring nicht zum Millionengrab wird. Er hat sich geirrt. Ähnliches gilt für den früheren Wirtschaftsminister und jetzigen SPD-Fraktionschef Hendrik Hering. Er hat 2010 die Neuordnung am Ring auf den Weg gebracht. Erst spät haben beide umgeschwenkt und von möglichen Millionenverlusten gesprochen.

Der Ministerpräsident und einer seiner möglichen Nachfolger werden schwer zu schlucken haben an dem, was Brüssel ihnen serviert. Neben Hering muss auch Finanzminister Carsten Kühl (SPD) Sorge haben, wieder ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten. Führende Protagonisten der alten SPD-Landesregierung stehen erneut in kurzen Hosen da. Vielleicht fordert die CDU-Opposition zum Ring nun einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss - zu verdenken wäre es ihr nicht.

Extra: Die CDU und der Ring
Die Landes-CDU veranstaltet am 30. Oktober in Mainz einen Kongress zum Thema Nürburgring. Ziel ist, mit Motorsportfans, regionalen Initiativen und Experten für die Vermarktung von Rennstrecken grundlegend zu diskutieren und dabei den volkswirtschaftlichen Nutzen der Eifel-Rennstrecke herauszuarbeiten. CDU-Fraktionsvize Alexander Licht hält die völlige Privatisierung des Rings für falsch. "Strukturbeihilfen haben auch dauerhaft regionale Effekte", sagt er. Die Landes-CDU befürwortet grundsätzlich eine Insolvenz der Ring GmbH, weil dadurch laut Licht "eine schnelle Neustrukturierung möglich wird und man sich von heute auf morgen von den privaten Pächtern trennen kann". Wichtig sei allerdings, die Rennstrecke und die Nordschleife, also den Motorsport, "weiterhin unter der Obhut des Landes zu belassen".

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