Das Plastiktüten-Gesetz kann kommen

Brüssel · Die neue EU-Kommission wollte die gerade vereinbarte Richtlinie zur Plastiktütenflut torpedieren, um ein Exempel zu statuieren - für den von ihr angekündigten Bürokratieabbau. Nun hat sie erkannt, dass dies nicht der richtige Testfall für den neuen Kurs ist.

Brüssel. Dem Kampf gegen die Plastiktüte steht nichts mehr im Wege. Anders als in den vergangenen Tagen angedeutet hat die Brüsseler Kommission am Mittwoch keinen Widerspruch gegen ein neues EU-Gesetz eingelegt, mit dem der durchschnittliche Verbrauch von 200 Plastiktüten pro Kopf und Jahr bis 2025 auf nur noch 40 Stück reduziert werden soll. In diesem Fall hätten die Mitgliedstaaten einen in der Nacht zu Dienstag mit dem Europaparlament gefundenen Kompromiss am Freitag einstimmig bestätigen müssen - was Diplomaten als "keineswegs sicher" bezeichnet hatten. Ohne den formellen Protest der Kommission reicht die normale qualifizierte Mehrheit, die auch nach Ansicht der Bundesregierung nun problemlos zustandekommen dürfte, wie ein EU-Diplomat unserer Zeitung sagte: "Wir rechnen jetzt mit der Verabschiedung."
Ziel ist nicht nur der geringere Verbrauch an sich, sondern auch der Schutz der Meere (siehe TV-Ausgabe vom gestrigen Mittwoch). Von den weltweit 100 Milliarden Plastiktüten, die pro Jahr in Umlauf kommen, landen viele in der Natur und verschmutzen vor allem die See. Vögel und Fische verenden daran, mikroskopisch kleine Plastikteile gelangen in die Nahrungskette.
Die jüngste Einigung gibt den 28 EU-Staaten die Wahl: Sie können verbindliche nationale Reduktionsziele, sogar ein Plastiktütenverbot erlassen - oder Gebühren für die Einkaufstaschen verlangen. In Irland etwa muss der Handel für jede ausgegebene Tüte eine Abgabe an die Staatskasse entrichten und gibt die Kosten an den Kunden weiter.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass es bei der Selbstverpflichtung des deutschen Einzelhandels bleiben kann, Plastiktüten nicht mehr kostenlos bereitzustellen.
Deutschland schafft Zwischenziel


Die Voraussetzung dafür ist, dass sich die Menge auch tatsächlich verringert. Das Zwischenziel, bis 2019 pro Kopf und Jahr nur noch 90 Plastiktaschen mit einer Dicke von unter 0,5 Millimeter in Umlauf zu bringen, ist in Deutschland mit 75 bereits heute erreicht. In Polen oder Portugal sind es 500.
Der Gesetzestext, auf den sich die italienische Ratspräsidentschaft und das Europaparlament verständigt haben, geht damit deutlich über den ursprünglichen Kommissionsvorschlag hinaus, der keine konkreten Reduktionsziele enthalten hatte. Zuletzt hatten Vertreter der Brüsseler Behörde moniert, dass es für eine genaue Berechnung keine Datenbasis gibt. Zudem waren Ausnahmen für besonders dünne Verpackungen für frische Waren wie Fleisch, Fisch oder Gemüse als zu kompliziert kritisiert worden. Noch am Dienstag hatte die Sprecherin von Kommissionsvize Frans Timmermans einen möglichen Einspruch der EU-Kommission angedeutet. Daher hatten Beobachter erwartet, dass der für den Bürokratieabbau zuständige Niederländer ein Aus für das Plastiktüten-Gesetz zu einem Präzedenzfall machen wolle, um die Entschlossenheit der neuen Kommission auf diesem Gebiet zu demonstrieren. In der EU-Kommission selbst wurde das Umdenken in letzter Minute bestätigt. Zwar gebe es einige "bürokratische Schwachpunkte", doch seien, so sagte ein hoher Beamter unserer Zeitung, "die Plastiktüten nicht das Thema, bei dem wir uns für Bürokratieabbau verkämpfen sollten".

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