„Das rot-grüne Multikulti ist gescheitert“: Volksfreund-Interview mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Julia Klöckner

Trier/Karlsruhe · Vor dem CDU-Bundesparteitag hat Landesvorsitzende Julia Klöckner mit einem Integrationspflichtgesetz für Schlagzeilen gesorgt. Über die Initiative, die Kritik an Angela Merkel und die bevorstehende Landtagswahl sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz mit der rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin.

Was wird in dem Antrag des CDU-Bundesvorstands zur Flüchtlingspolitik stehen?
Klöckner: Unser Ziel ist es, Fluchtursachen am Ort der Entstehung zu bekämpfen, die europäischen Außengrenzen zu sichern und eine faire Verteilung innerhalb der EU zu erreichen. Es geht in unserem Antrag um nationale, europäische und internationale Maßnahmen zur Reduzierung des Flüchtlingsstroms, damit die Ehrenamtlichen, die Kommunen, die Schulen nicht überfordert werden.

Was bedeutet das konkret?
Klöckner: Wir dringen beispielsweise auf ein einheitliches europäisches Asylsystem. Dazu gehören europaweit ähnliche Entscheidungsmaßstäbe. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit einem geringeren Schutzstatus soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Abgelehnte Asylbewerber sollen zügig zurückgeführt werden. Der derzeit nicht gewährleistete Schutz der EU-Außengrenzen soll auch dadurch wiederhergestellt werden, dass die Grenzschutzagentur Frontex zu einer europäischen Küstenwache ausgebaut wird. Um zu verhindern, dass Terroristen mit dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland kommen, soll es wieder bei jedem Asylbewerber eine Anhörung geben. Damit soll dessen Identität festgestellt und eine Sicherheitsüberprüfung möglich werden. Flüchtlinge sollen sich an Ombudsstellen wenden können, wenn sie bei anderen eine Nähe zur Terrororganisation Islamischer Staat befürchten. IS-Angehörige oder -Unterstützer sollen das Land umgehend wieder verlassen müssen.

Die Landes-CDU hat sich für ein Integrationspflichtgesetz ausgesprochen. Warum?
Klöckner: Migranten sollen per Gesetz zur Integration verpflichtet werden. Wer auf Dauer nicht mitmacht, dem sollen Leistungen gekürzt werden können. Dafür werden wir die Integrationskurse verdoppeln. Zudem soll ein flächendeckendes Netz an Integrationshäusern entstehen. Unter dem Motto "Fördern und Fordern" ist dabei das Thema Integration ganz zentral, basierend auf den Vorschlägen der rheinland-pfälzischen CDU.

Warum taucht der Begriff Obergrenze für Flüchtlinge in dem CDU-Antrag nicht auf?
Klöckner: Ein Symbolbegriff alleine löst noch kein Problem. Die komplexe Flüchtlingskrise bekommen wir nicht mit einer Stellschraube gelöst. "Obergrenze" bedeutet eine in Stein gemeißelte Zahl. Die kann aber keiner genau nennen, das ist regional sehr unterschiedlich und hängt auch von vielen Faktoren ab. Deshalb halte ich europaweite Kontingente für besser, auf weitere Schultern verteilt. Denn was es unbestritten gibt, das sind faktische Belastungsgrenzen, Machbarkeitsgrenzen, auch bei der Integration, für unser Land. Wenn es zum Beispiel um verfügbaren Wohnraum für eine menschenwürdige Unterbringung geht, um ausreichend Sprachlehrer, um Kapazitäten bei den vielen Helfern. Wir haben in einem enormen Kraftakt schon viel gemeistert, aber wir alle wissen auch: Diese Schlagzahl hält keiner unbegrenzt durch.

Warum wird die CDU-interne Kritik an Angela Merkel nach diesem Parteitag weniger geworden sein?
Klöckner: In einer Volkspartei wird immer diskutiert. Das ist besser, als wenn alle zur gleichen Zeit das Gleiche denken und sagen. Das ist bei Themen, die die Menschen aufwühlen natürlich noch viel mehr der Fall. So war es auch bei der Ukraine- oder der Griechenlandkrise. Angela Merkel versucht auch Europa zusammenzuhalten, das ist kein einfaches Unterfangen. Wenn es aber Deutschland nicht tut, wer dann sonst?

Inwiefern erhoffen Sie sich von Karlsruhe Rückendeckung für die rheinland-pfälzische CDU?
Klöckner: Der von uns ausgearbeitete Entwurf für ein Integrationspflichtgesetz findet große Zustimmung. Deshalb sind die Forderungen auch in den Antrag des Bundesvorstands aufgenommen worden. Integration dürfen wir nicht dem Zufall überlassen, wir müssen auch deutlich machen, was uns wichtig ist und dass man nicht in irgendein wertneutrales Gesellschaftssystem hineinkommt. Das rot-grüne Multikulti ist gescheitert, jetzt muss es strukturierter zugehen. Sprach- und Integrationskurse sind kein Angebot zur Güte, sondern dann verpflichtend.

Was würde sich unter einer Ministerpräsidentin Klöckner bei der Flüchtlingspolitik ändern?
Klöckner: Mit mir als Ministerpräsidentin hätte es nicht die monatelange Blockade im Bundesrat gegeben bei den sicheren Herkunftsländern. Als Ministerpräsidentin würde ich das bestehende Chaos und den lähmenden Zuständigkeitswirrwarr zwischen Integrations-, Innenministerium und Staatskanzlei auflösen und erst einmal das Ganze strukturieren und klar führen. Dazu gehört auch, dass wir umgehend die Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern konsequent umsetzen.

An was denken Sie da konkret?
Klöckner: Dass zum Beispiel Bargeld- in Sachleistungen umgewandelt oder Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge abgebaut werden. Die Rückführung abgelehnter Bewerber würden wir nicht weiter den Kommunen zumuten, sondern zentral vom Land organisieren. Zudem können die Kommunen auf eine stärkere Unterstützung bei ihrer Arbeit hoffen, anders als das jetzt der Fall bei der jetzigen Regierung ist. Bei der Integration der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive würden wir nicht so wahllos, sondern koordiniert vorgehen. Dazu gehören zum Beispiel Vorlaufklassen in den Schulen, auch an den Berufsschulen.

Wie wird in Karlsruhe der Empfang für Horst Seehofer sein?
Klöckner: Horst Seehofer ist von der CDU, seiner großen Schwester, als Gast eingeladen worden, und als Gastgeber gehen wir ordentlich mit unseren Gästen um.

Welche Schlagzeile wünschen Sie sich am Ende des Parteitags?
Klöckner: Wichtig ist es mir, dass wir offen über die Herausforderungen, nicht nur für die Partei, sondern für ganz Deutschland diskutieren. Am Ende soll sich die große Mehrheit mit den Ergebnissen auch identifizieren können. Die Entscheidungen dieses Parteitags werden die CDU und unser Land in den nächsten Jahren prägen und für die Zukunft aufstellen. Persönliche Wünsche hebe ich mir für Weihnachten auf, Schlagzeilen gehören nicht dazu (lacht). seyZur Person

Julia Klöckner ist seit drei Jahren Vize-CDU-Bundesvorsitzende. Die 42-Jährige steht seit September 2010 an der Spitze der rheinland-pfälzischen Christdemokraten. Im März will die studierte Politikwissenschaftlerin und Theologin erste CDU-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden.

Update Sonntagabend 22.14 Uhr: Die CDU-Spitze geht nach heftigem Ringen um die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel in letzter Minute doch noch geschlossen in den Parteitag in Karlsruhe. Der CDU-Vorstand fand mit den Kritikern fast einstimmig eine Kompromissformel für seinen Asyl-Leitantrag.  Die Junge Union zog ihren Antrag zu einer Obergrenze am Abend zurück. dpa

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