Der "Geist von Charlie" ist verflogen

Paris · Mit einer Trauerzeremonie hat Frankreich am Sonntag an die Terroropfer des vergangenen Jahres erinnert. Nur einige Hundert Menschen versammelten sich auf dem Pariser Platz der Republik - kein Vergleich zur Massenkundgebung ein Jahr zuvor.

Paris. Uhrzeit und Ort waren fast identisch, doch die Stimmung war eine ganz andere. Am 11. Januar 2015 hatten sich auf dem Pariser Platz der Republik rund 1,5 Millionen Menschen versammelt, um in einem Gedenkmarsch der Opfer der Anschläge auf die Satirezeitung Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hyper Kacher zu gedenken. So beeindruckend war die Menschenansammlung, dass die Musikerin Jeanne Cherhal ein Lied darüber schrieb. Eine Erinnerung, die Altrocker Johnny Hallyday am Sonntag auf dem Platz der Republik vortrug. Ein Jahr später waren statt der Millionen allerdings nur noch einige Hundert Menschen rund um die zehn Meter hohe Bronzestatue des Republiksymbols Marianne versammelt. "Wir wollten zeigen, dass der Geist des 11. Januar weiter besteht", sagte ein Paar, das sich die Übertragung der Zeremonie auf einer Großleinwand anschaute. Einer Kontrolle mit Metalldetektoren und der Durchsuchung ihrer Taschen mussten sie sich unterziehen, um auf den weiträumig abgesperrten Platz zu kommen. Auf der anderen Seite der Großleinwand saßen rund 700 geladene Gäste, meist Opfer der Anschläge und deren Angehörige. Die Zeremonie ganz ohne Reden erinnerte an alle 147 Toten des Terrors im vergangenen Jahr - an die von Charlie Hebdo ebenso wie an die Opfer des 13. November. Seit Sonntag gibt es auf dem Platz der Republik auch eine Gedenkplakette, die vor einer frisch gepflanzten Eiche in den Asphalt eingelassen ist. "Zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge im Januar und November 2015 in Paris, Montrouge und Saint-Denis. Das französische Volk würdigt sie hier", steht auf der Bronzeplatte, die Präsident François Hollande enthüllte.Trauerfeier vor Supermarkt

Die Feier war das Ende des Gedenkens an die Terrorserie vor einem Jahr, das sich durch die vergangene Woche gezogen hatte. Am Samstag hatte der jüdische Dachverband CRIF an der Porte de Vincennes zu einer Zeremonie eingeladen, die an den Angriff auf den jüdischen Supermarkt mit vier Toten erinnerte. "Ohne die jüdischen Franzosen wäre Frankreich nicht mehr Frankreich", sagte Regierungschef Manuel Valls in seiner Ansprache. Es war seine Antwort auf die steigende Zahl jüdischer Auswanderer nach Israel: Knapp 8000 Juden verließen Frankreich im vergangenen Jahr. 19 weiße Kerzen brannten auf der Tribüne zur Erinnerung an die 17 Opfer der Anschläge im Januar, die Toten des 13. November und alle, die Ziele des Terrorismus wurden.Kerzen standen massenhaft auch am Fuße der Marianne auf dem Platz der Republik, die seit dem 13. November zur Gedenkstätte geworden ist. Noch immer ist der Sockel der Statue von Blumen und handgeschriebenen Botschaften übersät. "Sie haben nicht gewonnen, denn wir sind bei euch", steht da beispielsweise auf einem DIN-A-4-Blatt mit dem Peace-Zeichen. Doch auch die vielen Zettel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass vom "Geist von Charlie", jenem viel beschworenen Miteinander nach den Anschlägen, ein Jahr später nicht mehr viel zu spüren ist. "Was ist von jenem Geist des Sonntags im Januar geblieben", fragte Johnny Hallyday in seinem Lied. Eine Frage, die sich am Sonntag viele stellten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort