"Der Papst hat gesprochen, der Ausgang ist offen"

Papst Benedikt XVI. ist vom Besuch in seiner deutschen Heimat in den Vatikan zurückgekehrt - aber die Diskussion über die Reise dauert an. In einem Gastbeitrag für den TV gibt der Trierer Bischof Stephan Ackermann seine persönliche Bewertung ab.

 Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann. Foto: Bistum

Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann. Foto: Bistum

"Begeisterte Gläubige, enttäuschte Erwartungen", so hat diese Zeitung gestern getitelt. Sie gibt damit die Bandbreite der Reaktionen auf den Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. wieder.
Im Vorfeld waren gewaltige Erwartungen geschürt worden. Worauf sollte der Papst nicht alles eingehen und wegweisend antworten: auf die Fragen der Ökumene, auf die aktuellen innerkatholischen Diskussionen, auf die Situation der Missbrauchsopfer, auf die Forderungen der Lesben- und Schwulenbewegung ... Als ob der Papst selbst eine Art Heilsbringer wäre! Für den nüchternen Betrachter war schon absehbar, dass der Papst unter dieser hochgesteckten Latte an Erwartungen durchspringen musste.
Benedikt XVI. hat aber einen anderen Weg gewählt: Er ist gar nicht auf die einzelnen Erwartungen eingegangen, die man ihm wie Dressurstöcke hingehalten hat. Er hat sie gar nicht erst zu überspringen versucht. Er hat sie in seinen Ansprachen umgangen, indem er den Weg sehr grundsätzlicher Überlegungen gewählt hat.
Dabei hat er überraschende Töne angeschlagen und unerwartete Gedanken formuliert: Er hat die ökologische Bewegung gelobt; er hat den Reformator Martin Luther als leidenschaftlichen Gottsucher gewürdigt und zugegeben, dass die Lebensfrage des radikalen Kirchenkritikers nach einem liebevollen Gott auch ihn, den Papst, stets neu treffe. Schließlich hat Benedikt am letzten Tag seiner Reise die Öffentlichkeit damit verblüfft, dass er die gewaltsamen Säkularisierungen, die die Kirche im Laufe ihrer Geschichte durch die "Enteignung von Kirchengütern" oder "die Streichung von Privilegien" erlitten hat, als heilsame Entwicklungen interpretierte, weil sie der Kirche halfen, ihren eigentlichen Auftrag wieder klarer zu entdecken. Kein Wunder, dass manch einer sich nach dem Abflug des Papstes verwundert die Augen reibt, da doch das, was der Papst im Freiburger Konzerthaus vorgetragen hat, sonst eher aus dem Mund der schärfsten Kirchenkritiker zu hören ist.
Was aber hat der Papst konkret gemeint? Soll die katholische Kirche in Deutschland das System der Kirchensteuer aufkündigen? Soll sie ihren Körperschaftsstatus zurückgeben? Soll sie auf Staatsleistungen verzichten?
Wer aus der Freiburger Rede solche unmittelbar praktischen Konsequenzen ableitet, der greift zu kurz. Denn er übersieht erstens, dass hinter materiellen Vorzügen und Privilegien in der Regel konkrete Engagements stehen, die die Kirche etwa in den Bereichen von Caritas und Bildung für Staat und Gesellschaft wahrnimmt.
Der Papst hat keine direkten Handlungsanweisungen geben wollen. Er hat sich nicht als Schulmeister der Kirche in Deutschland präsentiert. Freilich hat er unmissverständlich darauf hingewiesen, dass alle Bindungen, die die Kirche mit der Gesellschaft eingeht, immer auch eine "materielle und politische" Last mit sich bringen. Denn sie führen dazu, dass "die Kirche sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam wird und sich den Maßstäben der Welt angleicht". Das gilt nicht nur für die Kirche in Deutschland. Das gilt für die Kirche insgesamt. "Kirche sind wir alle", hat der Papst gesagt.
"Roma locuta causa finita.” Dieser alte Satz besagt im Volksmund so viel wie: "Der Papst hat gesprochen, die Sache ist damit entschieden." Papst Benedikt hat bei seinem Besuch das Gegenteil getan: Er hat keine abschließenden Urteile gefällt, sondern mit seinen Ansprachen den Raum zu nachdenklichen und selbstkritischen Diskussionen in Kirche und Gesellschaft eröffnet. Ob das politisch klug von ihm war und ob er uns damit nicht überfordert, darüber mag man streiten. Jedenfalls kann man nach dieser Papstreise nicht sagen "causa finita", sondern: Ausgang offen.
Extra: Bundestagspräsident sieht Erwartungen nicht erfüllt

 Norbert Lammert,Präsident des Deutschen Bundestages. TV-Foto: Maren Meißner

Norbert Lammert,Präsident des Deutschen Bundestages. TV-Foto: Maren Meißner


Ernüchtert vom Papstbesuch zeigt sich Bundestagspräsident Norbert Lammert. "Das war sicher ein sehr wichtiges, auch bewegendes Ereignis", sagte er dem TV am Rande eines Vortrags am Sonntagabend in Trier. "Ebenso offensichtlich ist aber, dass sich die Erwartungen, die der Papst teilweise selbst erzeugt hat, nicht erfüllt haben", sagte der Parlamentspräsident. Dies gelte beispielsweise für den Dialog zwischen den beiden großen Kirchen. Lammert kam direkt nach der Verabschiedung Benedikt XVI. nach Trier, um einen Vortrag vor den Mitgliedern der Görres-Gesellschaft zu halten, die derzeit in der Stadt tagen (der TV berichtete). mem

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