Der Traum wird schnell zum Albtraum

Die Integration der Aussiedler geht an deren Lebenswirklichkeit vorbei. Erstmals liegt mit der Studie des Trierer Soziologen Waldemar Vogelgesang eine umfassende Beschreibung der Probleme der Russland-Deutschen in der Region auf dem Tisch.

Trier. Integration beginnt in der Schule. In Neuerburg (Eifelkreis Bitburg-Prüm) hat man das erkannt. Seit fast zehn Jahren werden am dortigen Eifel-Gymnasium Sprachkurse für Aussiedler-Jugendliche angeboten. Rund 1500 Schüler haben bislang die 18-stündigen Kurse durchlaufen und haben darin Lesen, Sprechen und Schreiben gelernt. Ein Beispiel für Integrationsbemühungen in der Region. Ein erfolgreiches Beispiel, wie der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang in seiner Studie "Jugendliche Aussiedler - zwischen ethnischer Diaspora und neuer Heimat" herausstellt. Erfolgreich zumindest, was die Bildung der Aussiedler-Jugendlichen angeht. Doch in ihrem Alltag hat sich auch bei den Neuerburger Russland-Deutschen offenbar wenig geändert. Sie bleiben, so hat es die Studie herausgefunden, in der Freizeit weit gehend unter sich, von einer russischen Enklave im Internat ist die Rede. Auch gebe es immer noch "große sprachliche und kulturelle Probleme". Das Neuerburger Eifel-Gymnasium steht quasi stellvertretend für die Integrationsbemühungen der über 14 000 Russland-Deutschen in der Region. Es gibt Angebote, doch viele zielen offenbar an den Lebenswirklichkeit der Aussiedler vorbei. Sie kommen nach Deutschland, weil sie glauben, in Deutschland gebe es keine Arbeitslosigkeit, keine Armut und weil sie glauben, hier ihre Lebensträume verwirklichen zu können. Ein idealisiertes Deutschlandbild. Schnell macht sich unter den Aussiedlern Frust breit. Sie merken, dass sie nicht mit offenen Armen empfangen werden, dass viele Deutsche ihnen misstrauisch gegenüberstehen, ja, dass sie eigentlich gar nicht willkommen sind. Der Traum werde schnell zum Albtraum. "Besonders Sprachschwierigkeiten führen nicht nur zu Problemen in Schule und Ausbildung, sondern können im schlimmsten Fall auch zur sozialen Isolierung führen", heißt es in der 244-Seiten-Studie, die von der Nikolaus-Koch-Stiftung mitfinanziert wurde. Neben den Sprachproblemen - der Soziologe spricht von einem "ethnischen Bildungsgefälle"-, sind es aber familiäre Probleme, die eine Integration fast unmöglich machen. Die Kinder und Jugendlichen werden oft einfach aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen und müssen in einer fremden Umgebung leben, wo vollständig andere Werte gelten. In der Studie wird eine 16-jährige Russlanddeutsche zitiert: "Ich habe nicht gewollt, dass wir nach Deutschland fahren, aber meine Mutter hat es befohlen und ich konnte nicht, ich durfte nicht Nein sagen." Die Altersstruktur der in die Region zugewanderten Aussiedler bestätigt die Probleme: Über die Hälfte ist jünger als 25 Jahre. Entwurzelte, heimatlose Jugendliche, Vogelgesang bezeichnet sie als "mitgenommene Generation" oder als "Migrationsverlierer".Weiteres Problem: Die häufig sehr traditionelle und hierarchische Lebensweise der Russland-Deutschen, bei der Männlichkeit und Ehre hoch gehalten werden. Aussagen wie "Ein Mann, der nicht bereit ist, sich mit Gewalt gegen Beleidigungen zu wehren, ist ein Schwächling", stimmen laut Studie mehr als ein Drittel der Aussiedler-Jugendlichen zu. Das Faustrecht hat demnach noch Gültigkeit. Schmerzerfahrung wird nicht selten als Mutprobe inszeniert, um in der Gruppe anerkannt zu werden. Das ist laut Vogelgesang der Grund, warum vor allem Aussiedler-Jugendliche bei Gewaltdelikten häufiger auffällig werden. Er fordert: Wenn Integration erfolgreich sein soll, muss man sich auch mit dem kulturellen Hintergrund und den Herkunftsbegebenheiten der Aussiedler beschäftigen.

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