Der Wähler, das (un)bekannte Wesen

MAINZ. Die Persönlichkeit der Wähler hat einen wesentlichen Einfluss auf ihre politische Grundhaltung und auf das Wahlverhalten. Rechte Parteien zu wählen, ist mehr Überzeugung als Protest, sagt eine Studie der Uni Mainz.

Bei der Wahlentscheidung spielen neben den politischen Vorzügen die persönlichen Eigenschaften des Wählers offenbar eine erheblich größere Rolle als bisher angenommen. Moderne Wahlforschung blendet Persönlichkeitseigenschaften zur Erklärung des Wählerverhaltens meist aus. Dies widerspricht nach Auffassung des Mainzer Politikwissenschaftlers Siegfried Schumann nicht nur der Alltagserfahrung, sondern auch den Ergebnissen einer Studie, die er zusammen mit Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern erstellt hat. Die Persönlichkeit eines Menschen hat demnach einen wesentlichen Einfluss auf sein Wahlverhalten. Extrem rechte politische Einstellungen sind nach Schumanns Erkenntnissen daher treffender mit bestimmten Eigenschaften zu erklären als mit politischem Protest. Rechte Parteien werden kaum gewählt, wenn nicht entsprechende Überzeugungen vorliegen, sagte Schumann dem TV. Eine Protesthaltung kann zusätzlich dazu kommen, ist jedoch nicht ausschlaggebend. Über das Verhalten linker Wähler macht die Untersuchung keine Aussagen. Die Studie zeigt laut Schumann, dass der Rechtsextremismus kaum durch die gesellschaftliche Veränderungen und deren Folgen erklärt werden könne. Beim Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Wahlverhalten spielten nicht nur spezielle Eigenschaften wie ein autoritärer Charakter eine Rolle, sondern auch allgemeine Eigenschaften wie Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, soziale Verträglichkeit, die Empfänglichkeit für äußere Einflüsse oder Ängste und Unsicherheit. Beispielsweise begünstigt Offenheit für Erfahrungen nach den Erkenntnissen der Studie eine Wahlentscheidung für die Grünen. Persönlichkeitseigenschaften beeinflussen auch die Meinungen zu politischen Streitfragen wie dem Einmarsch der USA in den Irak und wirken sich damit auf Wahlentscheidungen aus. Die Einflüsse wirken nach Schumanns Worten vor allem indirekt, zum Beispiel auf die Sympathie für bestimmte Kandidaten. Die Wertschätzung steigt, wenn der Wähler Ähnlichkeiten zu sich selbst festzustellen glaubt. Auch bei der Wahlbeteiligung schlagen sich offensichtlich persönliche Eigenschaften nieder. Weil die Gewissenhaftigkeit über Jahrzehnte an Bedeutung verloren hat, nimmt auch der Gang zur Wahlurne ab. Gleichzeitig steigt jedoch auch die Offenheit für Erfahrungen. Beide Trends in Kombination begünstigen eine zunehmende Tendenz zum Wechselwählen, ist sich der Politikwissenschaftler sicher. Er vermutet, dass der oft zitierte "Wertewandel" tatsächlich eine Folge bislang unbemerkter Veränderungen der Persönlichkeitseigenschaften sein könnte. Insgesamt jedoch, so Schumann, sei das Wahlverhalten relativ stabil.