Die Amis sind da, für uns ist der Krieg zu Ende

Trier · Bei Kriegsende war Hans Neusius aus Trier zehn Jahre alt. 70 Jahre später erinnert er sich an das Kriegsende - weit entfernt von seiner Heimatstadt Merzig musste der Junge Luftangriffe und Kämpfe im fränkischen Evakuierungsgebiet miterleben.


In Hellmitzheim, einem kleinen mittelfränkischen Dorf zwischen Würzburg und Nürnberg gelegen, rückten am Nachmittag des 12. April 1945 amerikanische Truppen ein. Damit war für uns der Krieg zu Ende. Bis es soweit war, hatten wir jedoch noch einiges durchzustehen.

Nach einem schweren Luftangriff auf meine Heimatstadt Merzig am 19.November 1944 und dem anschließenden Beschuss durch amerikanische Artillerie mussten wir, -meine Mutter, meine drei Jahre alte Schwester und ich, neun Jahre alt,- die Stadt verlassen. Mein Vater war eingezogen worden.

Nach einem kurzen Aufenthalt im östlichen Kreisgebiet wurde auch der kleine Ort von amerikanischen Jagdbombern (Jabos genannt) angegriffen. Mit einem der Sonderzüge, die von Wadern, Kreis Merzig, in Bergungsgebiete "im Reich" fuhren, verließen wir mit mehreren Verwandten und vielen anderen Anfang Dezember 1944 unsere erste Bleibe nahe der Stadt. Die Sonderzüge fuhren wegen der ständigen Jabo Gefahr abends bei Dunkelheit los. Zwischen den Personenwaggons waren flache Güterwagen mit Flakgeschützen eingehängt, um mögliche Angriffe abzuwehren. Am Morgen, als es heller wurde, wuchs auch die Angst vor Luftangriffen auf den Zug. Am Nachmittag erreichten wir den Zielort: Hellmitzheim. Die Flüchtlinge wurden auf Hellmitzheim und Nachbarorte verteilt. Eine junge Bäuerin lud meine Mutter mit uns und unserem Gepäck auf eine pferdebespannten Leiterwagen und brachte uns zu einem stattlichen Hof am westlichen Dorfrand. Das schmucke Dorf mit vielen Fachwerkhäusern, der Kirche, dem Dorplatz mit Restaurants schien eine Oase des Friedens jenseits vom Krieg .Das änderte sich aber schon bald.

Weihnachten und Neujahr wurden wir Zeugen der alliierten Bomberverbände, die Würzburg und Nürnberg in Schutt und Asche legten. Die Brände waren nachts zu sehen und der Lärm der Bombeneinschläge wie ferner Donner zu hören.

Mitte März 1945 kamen deutsche Soldaten ins Dorf. Ihre Maschinengewehre, Munition, Panzerfäuste, Maschinenpistolen schleppten sie mit sich. Fahrzeuge hatten sie nicht mehr. Eetwa zehn Mann kamen in unser Haus und gruben sich im Garten und ums Haus herum ein.Auf dem Speicher richteten sie einen Beobachtungsposten ein. Zwei Ziegel, mit Holzstücken hochgestellt, erlaubten dem Posten mit einem Fernglas die Feindbewegungen zu beobachten. Ich durfte den Posten gelegentlich begleiten. Westlich etwa acht Kilometer entfernt, konnten wir beobachten, wie die Amerikaner mit Panzern, Lastwagen und Geschützen in eine Senke einfuhren, wo ein kleiner Ort lag.

Am anderen Tag war Geschützfeuer zu hören. Bald war klar, daß Dornheim, drei km östlich von Hellmitzheim, das Ziel war. Von einer Mauer am Dorfrand konnten wir, die Jugend des Dorfes, das Spektakel beobachten. Abschüsse und bald die Einschläge, kamen uns wie eine lebendige Wochenschau vor. Am zweiten Tag verstummten die Geschütze für einige Minuten. Dann ging es wieder los. Aber plötzlich ein Pfeifen über unseren Köpfen und ein Granateinschlag hinter uns in einem Geräteschuppen. Ziegel und Latten flogen umher. Panikartig verließen wir unseren Beobachtungsposten und stürmten nach Hause. Meine Mutter war von einem Besuch bei meiner Großmutter schon zurück. Im Haus Hektik. Im Keller wurden die Kartoffeln ausgebreitet, Bretter aufgelegt und das Bettzeug aufgebracht. Für die nächsten Tage nahmen wir alle, Herr und Frau Müller, die Hofbesitzer, ihre Tochter Meta, das Hausmädchen Anne und meine Muter mit uns, im Keller Quartier. Plötzlich ein ohrenbetäubender Motoren- und Schusslärm. Jabos schossen auf die Dächer. Die Häuser gingen in Flammen auf. In Massen waren Stabbrandbomben mit Phosphorsprengsätzen abgeworfen worden.

Auch in unserem Hof standen Stallgebäude, Scheunen, Gräteschuppen und Holzvorräte in Flammen. Herr Müller und Meta stürmten hinaus um das Vieh zu retten. Die Pferde und Kühe konnten ins freie Feld getrieben werden. Die Schafe waren nicht mehr durch das offene aber brennende Holztor zu bewegen und verkohlten in der Scheune. Das Wohnhaus konnte dank der Eimerkette, die die Soldaten mit den Hausbewohnern vom Gartenbrunnen aus bildeten, gerettet werden. Meine Aufgabe bestand darin, im Keller auf meine Schwester aufzupassen und die Kellerfenster zu kontrollieren, damit nicht durch Funkenflug unser Bettlager verbrannte. Am Nachmittag des 12. April 1945 besetzten die Amerikaner das Dorf.

Wir haben- Gott sei Dank - die Kriegszeiten überlebt. Im Juni 1945 konnten wir in unsere Heimat zurückkehren. Auch mein Vater kehrte 1947 aus englischer Gefangenschaft zurück. Die Nöte der Nachkriegszeit sind ein anderes Kapitel.

Hans Neusius, Trier

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