"Die Bahn muss Konsequenzen ziehen"

Berlin · Jeder dritte Fernzug der Bahn ist unpünktlich. Das ergab eine Auswertung von knapp 500 000 Ankünften an 20 deutschen Bahnhöfen von Juli 2010 bis Ende Februar 2011. Laut dem Verkehrsexperten Winfried Hermann ist vor allem der schlechte Zustand vieler Schienenstrecken schuld.

Berlin. Über die Ursachen und Konsequenzen der aktuellen Untersuchung der Stiftung Warentest zur Pünktlichkeit der Bahn hat unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit dem Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann (Grüne), gesprochen.

Herr Hermann, hat Sie der schlechte Befund überrascht?
Winfried Hermann: Nicht wirklich. Es ist gut, dass eine unabhängige Verbraucherorganisation die Situation geprüft hat. Ihr Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen vieler Fernreisenden.

Nun steigt natürlich das Verspätungsrisiko, je weiter ein Zug fährt. Ist die Aufregung da nicht etwas übertrieben?
Hermann: Das sehe ich anders. Es lässt sich doch problemlos berechnen, wie schell ein Zug auf einer bestimmten Strecke fahren kann, wie viele Haltepunkte er dabei absolvieren muss und welche Verspätungsmöglichkeiten auftreten können.

Und warum geht die Rechnung nicht auf?
Hermann: Ursache der Unpünktlichkeit ist offensichtlich der schlechte Zustand vieler Schienenstrecken. Sie geben nicht her, was im Fahrplan steht. Langsamfahrstrecken sind darin zum Teil nicht berücksichtigt. Hinzu kommen offenbar zu knapp kalkulierte Ein- und Ausstiegszeiten. Im Fahrplan gibt es dafür keine Zeitpuffer. Obendrein ist bei Zugpannen kaum Ersatz vorhanden. All das macht die Bahn störanfällig.

Was schlagen Sie vor?
Hermann: Bei der Bahn müssen drei Konsequenzen gezogen werden: Sanierung und Modernisierung der Strecken, so dass auch wirklich die Geschwindigkeiten gefahren werden können, auf denen der Fahrplan beruht. Zweitens: Mehr Fahrzugkapazitäten als Reserve. Und drittens mehr zeitliche Reserven bei Umsteigeknoten und Haltepunkten. Fast jeder von uns hat das doch schon erlebt: Am Freitag und am Montagmorgen sind viel mehr Leute mit der Bahn unterwegs, als an den anderen Tagen. Hier muss die Bahn umdenken und die Fahrpläne nachbessern.

Wer soll die Modernisierung und Sanierung bezahlen? Die Bahnkunden über verteuerte Tickets?
Hermann: Nein. Die Bahn bekommt jedes Jahr allein für den Erhalt des Streckennetzes 2,5 Milliarden Euro vom Staat. Würde sich die Bahn auf die Optimierung des Schienennetzes in Deutschland konzentrieren, anstatt auf unrentable Großprojekte wie Stuttgart 21, wäre schon viel gewonnen.

ENTSCHäDIGUNG


Bahnreisende haben in der Regel erst Anspruch auf eine Entschädigung, wenn der Zug mindestens eine Stunde zu spät am Zielort ankommt. Ab 60 Minuten Verspätung erhalten sie 25 Prozent des Fahrpreises zurück, ab 120 Minuten wird die Hälfte des Preises erstattet. Passagiere mit Zeitfahrkarten bekommen pauschal ab 60 Minuten Verspätung im Fernverkehr 7,50 Euro in der ersten Klasse und 5 Euro in der zweiten Klasse zurück. Eine Ausnahme sind die ICE-Sprinter, die mit wenigen Zwischenhalten die deutschen Metropolen verbinden. Wer ein Ticket in diesen Zügen gebucht hat, bekommt schon ab 30 Minuten Verspätung seinen Aufpreis zurück, wie eine Sprecherin der Deutschen Bahn erklärt. Dieser Zuschlag beträgt für die erste Klasse 16,50 Euro, für die zweite Klasse 11,50 Euro. dpa

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