"Die beste schlechte Lösung"

BITBURG. Radikal. Das trifft es. Mit der Agrarreform steht ein Systemwechsel in der Landwirtschaftspolitik bevor, dessen Folgen noch gar nicht in allen Einzelheiten abzuschätzen sind. Für Bauern-Funktionäre in der Region ist klar: Noch mehr Höfe werden aufgeben. Erste Auswirkungen zeigen die ab 2005 geltenden Neuerungen schon jetzt.

In Michael Horpers Stall werden künftig keine Mastbullen mehr stehen. Die Prämien, die ihm die EU derzeit für diese Tiere zahlt, fallen mit der Agrarreform im kommenden Jahr weg. Und dann werde dieser Betriebszweig für ihn zum Zuschussgeschäft, sagt der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Bitburg-Prüm.Systemwechsel bis 2013

Solch konkrete Gesichter zeigt die Agrarreform (siehe Hintergrund) derzeit noch selten. Details regelt erst die so genannte nationale Durchführungsverordnung, und die ist frühestens im September zu erwarten. Doch die Züge der Reform sind klar - und viele Folgen ebenfalls. Bis 2013 wird in der Agrarpolitik ein Systemwechsel vollzogen: Bauern erhalten die EU-Prämien nicht mehr für ihre erzeugten Produkte, sondern für das bewirtschaftete Land. Nach dieser "Entkopplung" kassiert nicht mehr der Landwirt die meisten Subventionen, der möglichst viele Lebensmittel produziert, sondern der, der die größte Fläche bewirtschaftet und damit den wichtigsten Beitrag zur Erhaltung der Kulturlandschaft leistet. In unserer Region trifft die Agrarreform die Milchbauern am härtesten. Sie sind zugleich die größte Gruppe: Allein im Kreis Bitburg-Prüm gibt es zwischen 1200 und 1300 entsprechende Betriebe; drei Viertel der Landwirtschaft dort entfällt auf die Milchwirtschaft. Der Interventionspreis - der garantierte Mindestpreis - für Milch liegt derzeit bei 29 Cent pro Liter. Schrittweise soll er auf 21 Cent fallen. Auch, wenn die Einbußen zur Hälfte ausgeglichen werden, ist Horper sicher: "Wir haben in der Eifel vielleicht fünf Betriebe, die zu diesem Preis produzieren können." Werden die Milchbauern zur aussterbenden Spezies? Das hänge von der Entwicklung des Milchpreises ab, sagt der Chef-Landwirt. Denkbar ist, dass künftig weniger Milch produziert wird, und sich der Preis - der künftig zyklisch schwanken wird - dann über der Interventionsmarke hält. Ungemach fürchtet Horper nicht nur für die Milchbauern: Die Bindung der EU-Prämie an die Fläche könnte die Pachtpreise in die Höhe treiben, meint er, und Landwirte gerieten dann leicht in die Zwickmühle: Entweder akzeptierten sie den höheren Preis, oder sie verlören einen Teil ihres Landes und damit auch der EU-Prämien. Auch beim Stichwort "Cross Compliance" schwant Bauernvertretern Böses. Direktzahlungen sind künftig davon abhängig, ob Bauern EU-Standards einhalten. 19 Einzel-Verordnungen seien zu berücksichtigen, erklärt der Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Bitburg-Prüm, Alfons Kewes. "Da kommt unendlich viel Bürokratie auf uns zu." In Bausch und Bogen verdammen wollen die Funktionäre die Reform allerdings nicht - im Gegenteil: "Unter allen schlechten Lösungen ist dank der Länder die beste gefunden worden", sagt Horper. Er sieht keine Alternative zur EU-Agrarpolitik. "Wenn wir wirtschaften möchten, wie wir wollen, müssten wir auf die Prämien verzichten." Die Folge: "Einige wenige Betriebe halten sich, alle anderen verschwinden." Ohne Fördergelder wären "viele Bauern schon pleite und wissen es noch gar nicht". Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft in unserer Region aus? "Wir werden weniger Betriebe haben", sagt Horper. "Die verbleibenden werden größer sein. Und anders." Sie produzierten nicht nur Lebensmittel, sondern auch Rohstoffe für Biogas-Anlagen oder Bio-Treibstoffe. Wer sich nicht "gnadenlos spezialisiere" und wachse, werde verschiedene Standbeine brauchen. Vor allem zwei Sorgen treiben Horper um. Erstens, dass die EU künftig weniger Geld zur Verfügung stellt. Wenn sich die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtere, seien die Prämien vielleicht nicht dauerhaft zu halten. "Ich habe Angst, dass die meisten Menschen sagen: ,Bevor ich weniger Geld in der Tasche habe, lassen wir die Eifel lieber zuwachsen.‘" Und zweitens sorgt sich Horper, dass Deutschlands Landwirte gegenüber Kollegen in anderen Ländern benachteiligt werden könnten. Die Agrarreform eröffne den einzelnen Staaten große Spielräume. Befürchtetes Szenario: "Wir haben hier den Bio-Öko-Kuschelzoo, und in anderen Ländern geht man voll auf Wirtschaftlichkeit." Ein Beispiel: Horpers Bullenkälber. Sie müssen künftig so bald wie möglich nach ihrer Geburt aus dem Stall. Wohin? "In Länder, in denen sich ihre Mast noch lohnt", sagt der Bauern-Boss. Die gebe es auch in der EU. Dort, wo man auf Massentierhaltung setze. Horper zuckt die Schultern. "Man kann ab und zu nur die Augen zumachen."

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