"Die Bischöfe haben Angst vor dem Volk"

TRIER. Was dem Saarbrücker Priester Gotthold Hasenhüttl gestern widerfuhr, hat Hans Küng schon einige Jahre hinter sich. Den Tübinger Theologie-Professor traf der kirchliche Bannstrahl 1979. Wegen Küngs Kritik an der Unfehlbarkeit des Papstes entzog ihm die vatikanische Glaubenskongregation die Lehrerlaubnis. Im TV -Interview fordert Küng die Priester zum Widerstand gegen die Suspendierung Hasenhüttls auf.

Der Trierer Bischof Marx hat Gotthold Hasenhüttl suspendiert, weil er auf dem Ökumenischen Kirchentag ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten zelebriert hat. Musste Marx nach dem Kirchenrecht so handeln, oder hätte er auch von Sanktionen absehen können? Küng: Lassen Sie mich den entscheidenden Punkt klarstellen: Gotthold Hasenhüttl hat eben kein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten zelebriert. Er hat ganz und gar nach Vorschrift einen katholischen Gottesdienst gefeiert. Und er hat zugleich das getan, was Sonntag für Sonntag in vielen Gemeinden üblich ist: Er hat alle in der Kirche anwesenden Christen zum Kommunionempfang eingeladen. Dies ganz nach dem Vorbild Jesu selber, der ja sogar öffentlich Sünder an seinen Tisch geladen hat. Selbstverständlich hätte Bischof Marx von Sanktionen absehen können, ja müssen. Hat Sie das Vorgehen von Bischof Marx überrascht? Küng: Ja. Bischof Marx gibt sich in den Medien ja immer sehr jovial, und ich habe, anscheinend fälschlicherweise, angenommen, das sei nicht nur gespielt. Seine Reaktion übertrifft noch bei weitem das unnötig scharfe Vorgehen von Bischof Mixa in Eichstätt. Denn der dortige Pfarrer Kroll hat ja tatsächlich an einem evangelischen Abendmahl teilgenommen, während Hasenhüttl nach den kirchenrechtlichen Bestimmungen nichts Strafwürdiges getan hat, was man bisher auch nicht allgemein toleriert hätte. Wie groß sind Hasenhüttls Chancen, dass der von ihm angekündigte Widerspruch gegen die Suspendierung erfolgreich ist? Küng: Es ist zumindest ein Aufschub erreicht, und mit dem Bischof kann auch der Klerus des Bistums Trier überlegen, was in diesem Fall zu geschehen hat. Meines Erachtens müssten die Priester der Diözese wie ein Mann aufstehen und dem Bischof sagen, dass sie eine solche Situation nicht hinnehmen. Ein juristisches Appelationsverfahren hat beim gegenwärtigen Stand des Kirchenrechts, in welchem der Untergebene gegenüber den oberen Instanzen kaum echte Chancen hat, wenig Aussichten auf Erfolg. Aber wenn genügend Widerstand vor allem aus dem Klerus und dem Diözesanrat angemeldet wird, sind manchmal sogar katholische Hierarchen zur Einsicht fähig. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür, dass die deutschen Bischöfe gegen "Abweichler" aus den eigenen Reihen derzeit so hart durchgreifen? Küng: Die Bischöfe haben Angst vor dem Volk. Sie wissen nämlich ganz genau, dass die so genannten Abweichler die übergroße Mehrheit der Katholiken in Deutschland hinter sich haben. Auch Bischof Marx hat sicher gelesen, dass nach einer neuen Umfrage 88 Prozent der Katholiken und 86 Prozent der Protestanten für gemeinsame Eucharistiefeiern sind. Da möchten die Bischöfe, die in dieser Frage nur fünf Prozent der Gläubigen hinter sich haben, schon den Anfängen wehren, indem sie den Priestern sogar verbieten, den nicht-katholischen Christen das Abendmahl zu reichen. Die meisten Gläubigen haben mit dem gemeinsamen Abendmahl kein Problem. Wie verkraftet eine Kirche auf Dauer die Diskrepanz zwischen "denen da oben" und der Basis? Küng: Die deutschen Bischöfe stehen unter römischer Kontrolle. Der Kurs der Intoleranz wird klar befürwortet sowohl vom Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, als auch vom Chef des römischen Einheitssekretariats, Kardinal Kasper. Diese sind es gewohnt, auf die Gläubigen ihrer Heimatländer keine Rücksicht zu nehmen, vielmehr gegen Volk und Klerus die römische Linie durchzusetzen, wie es vor kurzem ja auch in der Frage der Schwangerschafts-Konfliktberatung geschehen ist. So vergrößert sich natürlich immer mehr die Diskrepanz zwischen "Oberkirche" und "Unterkirche", und nichts fürchtet Rom mehr als den Ruf: "Wir sind das Volk!" Die KirchenVolksBewegung hat sich ja auch mit hunderttausenden von Unterschriften für die Basis stark gemacht. Aber die Bischöfe, mit Kirchenrecht und Kirchensteuer ausgerüstet, meinen, dem Volk und Klerus in allen Reform-Anliegen Widerstand entgegensetzen zu können. Wie lange die Hierarchie diesen Reformstau noch aushält, ist fraglich. Im Grund erwarten auch viele in der deutschen Bischofskonferenz von einem Pontifikatswechsel in Rom eine Kursänderung. Muss der "normale" Gläubige, der an einer solchen Abendmahlfeier teilnimmt, ein schlechtes Gewissen haben? Küng: Selbstverständlich nein. Sie sollen weiterhin - ähnlich wie in den Fragen der Geburtenregelung - nach ihrem Gewissen handeln. Ein schlechtes Gewissen sollten vielmehr die Bischöfe haben, die sich solche Macht über die Eucharistiefeier anmaßen, während nach allgemein christlicher Auffassung der Herr Jesus selber zu seinem Mahl einlädt und nicht irgendwelche kirchlichen Instanzen. Mit Hans Küng sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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