Die Ernte der Graswurzel-Arbeiter

TRIER. Ein Oscar-Preisträger beim TV ? Seit gestern ist das Realität: Redakteur Dieter Lintz hat für seine Serie "Da-Sein" den mit 5000 Euro dotierten Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten - auch "Oscar" für Lokaljournalisten genannt. Ein Bericht von dem Tag, der so anders war. Jedenfalls zunächst.

Alles ist anders. Sonst kommt der Volksfreund als Gast zu Veranstaltungen wie dieser, heute ist er Gastgeber. Normalerweise stehen die TV -Leute mit Fotoapparaten um den Hals da, diesmal richten sich die Objektive auf sie. Das Lokalfernsehen hat Kameras aufgebaut, fünf, sechs Fotografen laufen umher auf der Suche nach dem günstigsten Platz. In wenigen Minuten wird das Iris-Oettinger-Trio Saxophon und Akkordeon ablegen und die Bühne J. Friedrich Orths überlassen. Der TV -Geschäftsführer begrüßt die 120 Gäste, die zur Verleihung des Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Trierer Thermenmuseum gekommen sind. "Nur so viel: Veranstaltungsort und Preisträger stehen in einem Zusammenhang", sagt Orths - und verrät damit, was hier ohnehin fast jeder weiß: Der Trierische Volksfreund hat mit der Serie "Da-Sein" seines Leitenden Redakteurs Dieter Lintz den renommierten Journalisten-Wettbewerb gewonnen. Anders ist heute auch, dass Journalisten gefeiert werden - wo sie doch sonst von Funktionären, Politikern & Co. ebenso kritisch beurteilt werden, wie sie diesen auf die Finger schauen. "Da-Sein ist ein Paradebeispiel für verantwortungsvollen Lokaljournalismus und seine Wirkungsmacht", lobt etwa Wilhelm Staudacher, Generalsekretär der Adenauer-Stiftung. Lokaljournalismus sei längst nicht mehr das "Aschenputtel" unter den Ressorts, sondern die Existenzgrundlage vieler Zeitungen. Staudachers Fazit: "Lokaljournalisten sind Graswurzel-Arbeiter an der Basis der Gesellschaft." Dann der erste Höhepunkt: Festredner Wolfgang Schäuble rollt auf die Bühne. Auch der querschnittsgelähmte CDU-Politiker stellt die Bedeutung des Lokaljournalismus‘ in den Vordergrund. Seine Forderung: "Das Allgemeine im Konkreten erfahrbar machen." Will heißen: erklären, wie sich Entscheidungen in Berlin oder Brüssel vor Ort auswirken. Angesichts der Politikverdrossenheit sei das "von entscheidender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der demokratischen Strukturen", sagt Schäuble. "Alles fängt im Lokalen an. Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt - und ohne den geschieht überhaupt nichts." Den anhaltenden Applaus unterbricht er: "Sie müssen nicht klatschen, bis ich die Bühne verlasse. Ich bleibe nämlich oben!" Um ihn herum stehen zehn Minuten später die Empfänger der sechs Sonderpreise, ihre Urkunden unter den Armen oder vor den Bäuchen. Der drittplatzierte Lokaljournalist von der "Süddeutschen Zeitung" wird aufgerufen. Die zweiten Sieger vom Berliner "Tagesspiegel". "Und jetzt sind wir da, wo wir heute hingehören", sagt Jury-Sprecher Dieter Golombek endlich. "In Trier." Dieter Lintz und Co-Autorin Birgit Pfaus nehmen Urkunde und Glückwünsche entgegen - für die "Gänsehaut-Serie", wie Golombek sagt. Auch Dieter Lintz fühlt sich an diesem Tag anders als sonst: "Eine ungewohnte Position, hier oben zu stehen", beginnt er seine Dankesrede - und erzählt von der anfänglichen Skepsis, ob eine Serie über das Sterben überhaupt zumutbar sei. Von Kommentaren wie: "Da kriegen eure Leser doch Depressionen!" Und schließlich von der überwältigenden Resonanz. "Unterschätzt eure Leser nicht, traut ihnen etwas zu", fordert er seine Kollegen auf. "Habt Mut, euch auf Themen einzulassen, die an die Nieren gehen!" Auch beim anschließenden Smalltalk zwischen alten Mauern, Stehtischen und roten Lichtern steht der TV im Mittelpunkt. Schön, dass "unsere" Zeitung eine solche Auszeichnung bekommen hat, heißt es. Dann, nach ein, zwei Gläschen Wein, ist es soweit. "Noch ein bisschen mehr Lokalberichterstattung wäre nicht schlecht", sagt ein Gast; an einem anderen Tisch heißt es: "Der Volksfreund berichtet zu wenig aus Berlin." Und alles ist wieder wie immer.

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