Landtag Es ist eine wohl durch und durch zerrüttete Beziehung

Mainz · Die FDP-Fraktion im Land will Helga Lerch rauswerfen. Die klagt nun gegen einen Eifeler Parteifreund. Wie konnte all das geschehen? Eine Analyse.

 Zwei Seiten, die sich entfremdet haben: Die FDP-Fraktion im Landtag will die auf dem Prospekt abgebildete Helga Lerch rauswerfen.

Zwei Seiten, die sich entfremdet haben: Die FDP-Fraktion im Landtag will die auf dem Prospekt abgebildete Helga Lerch rauswerfen.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Als Schulleiterin genoss Helga Lerch den Ruf, kompetent, streng, gerecht und eine große Verfechterin der Demokratie zu sein – berichten Ex-Schüler. Eine Anekdote, die kursiert: Als Sozialkundeklassen ihre schriftliche Abiturprüfung schrieben, legte die Lehrerin jedem Schüler ein Grundgesetz mit persönlicher Widmung, eine Landesverfassung und eine Packung Schogetten auf den Tisch. Mit ihrem Verständnis von Parlamentarismus hat die FDP nun ein großes Problem. Lerch droht der Rauswurf aus der FDP-Fraktion im Mainzer Landtag. Am Dienstag verteidigte sich die 64-Jährige (siehe Extra), die nun sogar ihren Vulkaneifeler Parteifreund Marco Weber vor Gericht zieht. Wie ist die Entfremdung nur geschehen?

Als die FDP bei der Landtagswahl 2016 aus der außerparlamentarischen Opposition wieder ins Parlament strebte, war Lerch die ranghöchste Frau – auf Platz zwei war sie hinter Chef Volker Wissing gelistet, durfte so nominell sogar auf eine Führungsposition in der Landespolitik hoffen. Sie tat das, wurde enttäuscht und interpretierte ihre Rolle als bildungspolitische Sprecherin einer regierungstragenden Fraktion durchaus eigenwillig.

Den ersten Kampf mit „ihrer“ Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) focht sie bei Sprachen aus. Spanisch – forderte Helga Lerch in einem ihrer seltenen Antrag, wie Gegner monieren – solle genauso zweite Fremdsprache in rheinland-pfälzischen Schulen sein dürfen wie Französisch. Was in nahe an französischsprachig liegenden Gebieten wie dem Raum Trier kein Aufreger war, entfachte in Regionen an Hessens Landesgrenze enormen Auftrieb. Dort kam es immer wieder vor, dass Schüler bei einem Umzug ihrer Eltern nach Rheinland-Pfalz nicht an den Spanisch-Unterricht anknüpfen konnten, den sie in ihrem alten Bundesland kannten. Beim Bildungsministerium prallte Lerch mit Verweis auf die deutsch-französische Freundschaft ab, ebenso beim frankophilen Volker Wissing. Es war der Start einer langen Fehde mit Ministerin Hubig, die sie auch bei kleinen Grundschulen und Kita-Gesetz kritisch verfolgte.

Diesen – einen durchaus den koalitionären Gepflogenheiten entsprechenden – Weg, Einfluss auf die Ministerin zu nehmen, suchte Lerch danach kaum noch. Vielmehr machte sie in Hubig eine Gegnerin aus. „Deshalb macht sie klassische Oppositionsarbeit“, sagt ein Landtagsfraktionsmitglied.

Was die Mainzer Kollegen ärgert: Lerch vertritt dabei häufig die Parteilinie genau dort, wo sie vom Koalitionsvertrag abweicht. Sie findet das konsequent. Viele liberale Stimmen verweisen zugleich darauf, dass Lerch ihren Referenten in den Haushaltsverhandlungen allein ließ, selbst nicht erschien. Das bestätigten auch Sitzungsteilnehmer anderer Fraktionen. Die FDP stellte somit letztlich keinen Änderungsantrag am Bildungsetat 2019/2020.

Intern leise, extern laut. Das stieß Fraktion und Mitarbeitern auf. Gerade weil es Abgeordneten wie Steven Wink gelungen war, durchaus massive gelbe Linien in die rot-grüne Politik zu malen. Wink blockierte mit entschiedenem Auftreten hinter den Kulissen eine Indexierung des Rundfunkbeitrags. Fast unbemerkt und ohne größeren Unfrieden in der Ampel torpedierte die kleine FDP so ein ein Herzensprojekt der mächtigen Medienpolitikerin Heike Raab (SPD). Lerch indes ging ihre Widersacherin Hubig mal mehr, mal weniger offen im Parlament an.

Der Konflikt gipfelte im Oktober in der Rede von Helga Lerch im Mainzer Landtag zur Unterrichtsversorgung. 105 Prozent, sagte die Liberale, seien die Idealvorstellung. Die Liberale fühlten sich brüskiert, weil Lerch diesen Satz vorher nicht angekündigt haben soll, die Forderung millionenschwer war. Die SPD wütete, weil Bildungsministerin Hubig wegen Unterrichtsausfall an jenem Zeitpunkt schon kräftig von CDU und AfD in die Mangel genommen wurde. Was nach der Rede im Landtag passierte, bereuen viele Liberale heute. Im Foyer echauffierte sich SPD-Ministerin Hubig über die von Lerch geforderte Aufstockung von Lehrerstellen. Kabinetts- und Fraktionsmitglieder von FDP standen daneben, nickten, schämten sich sichtbar für Lerch. All das geschah nicht hinter verschlossenen Türen, sondern vor den Augen von Journalisten und Oppositionellen – wie auch das Vieraugengespräch unter Hunderten Augenpaaren im Plenum, zu dem FDP-Parteichef Wissing Lerch zitierte.

Es war die Szene, in der ein Verhältnis, das man nicht zerrüttet nennen sollte – weil es praktisch nie wirklich über eine wechselseitige Kenntnisnahme hinauskam, implodierte. Seinen Ausgangspunkt nahm es schon, als Wissing noch Ex-Bundestagsabgeordneter mit Rechtsanwaltskanzlei und Lerch Schulleiterin mit kommunalpolitischer Erfahrung waren. Beide sollte nach Willen der Partei gemeinsam Wahlkampf machen. Doch während Wissing mit einer One-Man-Kampagne durchs Land tourte, war es um Lerch still.

Wie so oft in dieser Geschichte gibt es zwei Seiten, warum das so war. Manche sagen: Lerch habe erklärt, für Wahlkampf habe sie keine Zeit, stünde aber später für alle Ämter zur Verfügung. Vertraute von Lerch sagten, sie habe sich nicht gewollt gefühlt. Dass Thomas Roth Fraktionschef wurde, empfand Lerch als Affront. Wissing dürfte die Personalien inzwischen auch bereuen. Ein Fehlgriff erster Güte.

Mit Cornelia Willius-Senzer folgte nicht gerade eine Duzfreundin Lerchs. Die Mainzerin und die Ingelheimerin engagieren sich seit Jahrzehnten für die gelbe Partei, sind sich aber oft nicht grün. Wissing und Lerch standen wiederum in eingangs beschriebener Szene für gerade einmal zwei Minuten beisammen, als Lerch vor den Augen des Ministers zusammenbrach. „Volker Wissing hat mir nach der Rede mit Konsequenzen gedroht. Ich lag nach seiner heftigen Kritik bewusstlos im Plenarsaal“, erinnert sich die 64 Jahre alte FDP-Politikerin jüngst in der „FAZ“. Sie impliziert damit, bei der offiziellen Version der Fraktion, weshalb Lerch wegen der Folgen einer „komplizierten Zahnoperation“ zusammengebrochen sei, handelt es sich um eine Falschinformation. Ihre Gegner spekulierten später über einen simulierten Kollaps. Das Fass lief vollends über, als Lerch in einem Ausschuss Vorwürfe über sexuellen Missbrauch durch Lehrer an Schulen andeutete.

 Bildungsministerin Stefanie Hubig diskutiert im Medienhaus Trierischer Volksfreund mit Schülerinnen und Schülern.

Bildungsministerin Stefanie Hubig diskutiert im Medienhaus Trierischer Volksfreund mit Schülerinnen und Schülern.

Foto: Rainer Neubert

Ein Telefonat zwischen dem Vulkaneifeler FDP-Abgeordneten Marco Weber und Lerch, in dem dieser sie für den Auftritt kritisiert haben soll, landet nun vor Gericht. Lerch will dem Parlamentarischen Geschäftsführer eine Aussage aus dem Ausschlussantrag der Fraktion gegen sie untersagen lassen. In dem Papier heißt es, Lerch soll Weber in dem Gespräch gedroht haben, Aufzeichnungen über dessen Privatleben öffentlich zu machen, sollte der sie künftig im Fraktionsalltag benachteiligen. Der Ausschlussantrag ist eigentlich intern, liegt aber mehreren Medien vor. Fest steht, dass sie Weber eine Unterlassungserklärung zukommen ließ. Der weigerte sich allerdings, diese zu unterzeichnen. Er selbst hat den Vorwurf, Lerch habe ihn bedroht, bisher weder öffentlich erhoben, noch sich überhaupt dazu geäußert. Nun muss das Gericht in diesem zerrütteten Verhältnis entscheiden.

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