Die kleine Kneipe auf dem Sterbebett

Trier · Nirgendwo sterben vergleichsweise mehr Kneipen als in Hamburg. Und nirgendwo werden mehr neue Lokale aufgemacht als in Berlin. Zwischen diesen beiden Extremen liegen Rheinland-Pfalz und die Region Trier: Die Kneipendichte geht zurück, aber weniger stark als im Bundesschnitt.

Trier. Wer in der Region Trier in eine Gastwirtschaft geht, dem wird noch in vielen Lokalen eine an der Wand hängende Urkunde auffallen: verliehen von einer in der Eifel beheimateten Brauerei als Dank für die jahrzehntelange Geschäftsbeziehung. Ein Jubiläum, das immer seltener gefeiert werden kann. Denn die Zahl der traditionellen Gastwirtschaften geht bundesweit stark zurück. Innerhalb von zehn Jahren machte ein Viertel aller Bierlokale dicht. Für immer. Das ist ein Unterschied zu früher, als die meisten Kneipen von einem Nachfolger übernommen wurden, wenn der alte Wirt nicht mehr wollte oder sich zur Ruhe setzte.
Nur in zwei der 16 Bundesländer stieg seit 2001 die Zahl der Lokale: in Baden-Württemberg (plus 15 Prozent) und in Berlin. Dass sich dort die Zahl der Kneipen sogar fast verdoppelt hat, liegt nach Ansicht von Experten daran, dass die Hauptstadt boomt. Ist denn Rheinland-Pfalz so auf dem absteigenden Ast?
"Nein", sagt der Landespräsident des Branchenverbands Dehoga, Gereon Haumann. Seiner Meinung nach gibt es für das Kneipensterben eine ganze Reihe an Gründen. Eines der Hauptprobleme: Einem Großteil der Betriebe fehle ein Nachfolger. "Die Jüngeren übernehmen doch nicht mehr wie früher zwangsläufig die elterliche Gastronomie", sagt Haumann. "Die fragen sich: Was sollen wir uns das antun?" Gemeint seien die schlechten Arbeitszeiten und ein eher bescheidener Verdienst. "Die Kneipiers müssen von ihrem Umsatz auch leben können", sagt der Dehoga-Präsident und schiebt gleich eine Forderung an die politischen Entscheidungsträger hinterher: "Die Besteuerung unserer Gastronomen ist im europäischen Vergleich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit."
Ungerecht findet es Gereon Haumann auch, dass in vielen Gemeinden voll ausgestattete Dorfgemeinschaftshäuser der traditionellen Gastronomie das Wasser abgraben.
"Es braucht sich kein Bürgermeister zu wundern, wenn dann im Dorf irgendwann die letzte Kneipe zumacht", sagt auch Haumanns Dehoga-Kollege Thomas Herrig. Der gelernte Koch betreibt in dem kleinen Eifelort Meckel selbst ein Gasthaus und führt damit eine weit über 100-jährige Familientradition fort. Erfolgreich. Allerdings lebt das Gasthaus in dem 400-Seelen-Ort nicht nur vom Bierausschank, sondern hat sich mit regiontypischen Gerichten aus heimischen Produkten einen Namen gemacht. "Wer in kleinen Orten nur eine Kneipe betreibt, für den sehe ich schwarz", sagt Wirt und Dehoga-Funktionär Herrig. "Wer dagegen innovativ und ideenreich ist, hat Chancen."
Dieser Meinung ist auch Bitburger-Geschäftsführer Werner Wolf. Er sagt: "Generell ist der Erfolg eines Objekts in hohem Maße vom Unternehmer selbst abhängig. Wer es versteht, seinen Gästen einen Mehrwert zu bieten, der kann langfristig erfolgreich sein."
Wolf muss es wissen, denn die Braugruppe beliefert bundesweit 70 000 gas tronomische Betriebe. Eine weitere Erkenntnis: "Die traditionelle Eckkneipe wird auch wegen des Rauchverbots weiter unter Druck stehen." Dagegen werde die system- und erlebnisorientierte Gastronomie wachsen, prognostiziert Bit-Chef Wolf.
Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann drückt es so aus: "Kneipenbesucher von heute sind eher Szene-Lokal-Besucher. Anders als früher gehen sie nicht in jeder Stimmung in ihre Kneipe im Wohnviertel, sondern suchen sich die Lokalität aus, die zu ihrem Gefühl passt."
Das allerdings kann auch nur der Gast machen, der in seinem Ort noch die Qual der Wahl hat.Extra

In der Region Trier ist die Zahl der klassischen Kneipen zwischen 2000 und 2010 um 22 Prozent zurückgegangen, heißt: Etwa jedes fünfte der vormals 685 Lokale hat dichtgemacht. Besonders viele Gaststätten schlossen laut Statistischem Landesamt im Kreis Trier-Saarburg. Dort gab es vor zwölf Jahren noch 168 Kneipen, vor zwei Jahren waren es nur noch 114 (- 32 Prozent). In den Kreisen Bernkastel-Wittlich (von 210 auf 158), Bitburg-Prüm (von 142 auf 112) und dem Vulkaneifelkreis (von 68 auf 53) machten in diesem Zeitraum gut 20 Prozent der Kneipen zu. Einzige regionale Ausnahme ist die Stadt Trier. Hier gab es 2010 mit 98 Lokalen sogar noch eine Kneipe mehr als zehn Jahre zuvor. sey

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