"Die Krise ist noch längst nicht überstanden"

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di warnt vor zu viel Optimismus mit Blick auf die Entwicklung auf dem Arbeitmarkt. Es sei längst "nicht alles Gold, was da gerade zu glänzen versucht", so die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane im Gespräch mit unserer Zeitung.

Berlin. Verdi-Vizechefin Margret Mönig-Raane erteilt dem Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), ausländischen Fachkräften eine Lockprämie zu zahlen, im Gespräch mit dem TV eine klare Absage. Mit der Gewerkschafterin sprach unser Berliner Korrespondent Hagen Strauß.

Frau Mönig-Raane, alle Welt spricht vom deutschen Jobwunder nach der Krise. Sie auch?

Mönig-Raane: Als ein Wunder würde ich die derzeit erfreuliche Lage am Arbeitsmarkt nicht bezeichnen. Vielmehr hat das kluge Zusammenspiel zwischen Politik und Gewerkschaften, Arbeitgebern und Beschäftigten dazu geführt, dass Deutschland die Krise weitaus besser besteht als andere Staaten. Die Krise ist aber noch längst nicht überstanden. Viele Arbeitnehmer befinden sich in unsicheren Arbeitsverhältnissen. Es gibt also keinen Grund zur Entwarnung.

Aber warum trotzt der Arbeitsmarkt dem Konjunktureinbruch?

Mönig-Raane: Weil durch Verlängerung der Kurzarbeit, flexible Nutzung von Arbeitszeitkonten oder Leiharbeit der Druck auf die Unternehmen verringert und so Beschäftigung insgesamt gehalten werden konnte. Das ist aber kein Selbstläufer. Die Beschäftigten zahlen einen hohen Preis, weil sie finanzielle Einbußen haben.

Das heißt, Sie werfen der Politik auch Trickserei vor?

Mönig-Raane: Trickserei ist der falsche Begriff. Fakt ist aber, dass Arbeitnehmer durch Leiharbeit, befristete Beschäftigung und Lohneinbußen im Zuge von Kurzarbeit erheblich belastet werden. Gerade die Leiharbeit wird in vielen Bereichen krass missbraucht, um reguläre Beschäftigung zu ersetzen. Gleichzeitig wächst der Niedriglohnsektor durch befristete Jobs, erzwungene Teilzeit, Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung. Es ist längst nicht alles Gold, was da gerade zu glänzen versucht.

Wenn die Arbeitslosenzahlen im September oder Oktober unter drei Millionen fallen sollten, wird es heißen, die Regierung hat alles richtig gemacht.

Mönig-Raane: Nur scheinbar. Die Wahrheit ist, dass der Aufschwung fast ausschließlich am Export hängt, während die Binnenkonjunktur stark hinterherhinkt. Die Regierung verstärkt die Schieflage mit ihrer drastischen Kürzungspolitik. Gleichzeitig machen Internationaler Währungsfonds und Europäische Union Druck auf Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal, so dass auch sie Investitionen und Ausgaben drastisch zusammenstreichen. Das verschärft das Leistungsbilanz-Ungleichgewicht in der EU.

Wenn der Aufschwung da ist, was folgt für die Beschäftigten?

Mönig-Raane: Die Arbeitgeber müssen befristete Jobs in Dauer-Arbeitsverhältnisse umwandeln und damit Schluss machen, Stammbelegschaften durch Leiharbeiter zu ersetzen. Die Beschäftigten haben mit teils großen persönlichen Opfern dazu beigetragen, die Folgen der Krise abzumildern. Also haben sie auch einen Anspruch darauf, am Aufschwung angemessen beteiligt zu werden. Höhere Löhne stärken auch die Binnennachfrage.

Wirtschaftsminister Brüderle will nun Fachkräfte aus dem Ausland mit Lockprämien anwerben. Was halten Sie davon?

Mönig-Raane: Das ist ein besonders dreistes Ablenkungsmanöver. Wenn im Mai 2011 der Arbeitsmarkt durch die EU-weite Freizügigkeit auch für osteuropäische Arbeitskräfte geöffnet wird, droht ein drastischer Druck auf hiesige Löhne und eine Fortsetzung des von Arbeitgebern lange praktizierten Lohndumpings, auch bei qualifizierten Tätigkeiten. Dagegen helfen nur Mindestlöhne, die Brüderle verhindern will. Aber alle Fachkräfte, egal ob inländische oder ausländische, müssen von ihrer Arbeit leben können. Alles andere ist politisches Illusionstheater.

Herr Brüderle selbst hat übrigens das Wenigste dazu beigetragen, dass die Wirtschaft anzieht. extra Lohnforderungen: Die Gewerkschaften wollen in den kommenden Tarifrunden deutlich höhere Löhne durchsetzen. Angesichts des Konjunkturaufschwungs müssten "Abschlüsse in Richtung drei Prozent" gelingen, sagte etwa der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag). Der Vizechef der IG Bau, Dietmar Schäfers, verlangte für die Beschäftigten einen "Nachschlag". Die Arbeitgeber müssten sich in besseren Zeiten daran erinnern, "dass wir uns in den schlechten verantwortungsvoll gezeigt haben".

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