Die letzte Umarmung der CSU
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Abschied Edmund Stoibers die politische Lebensleistung des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs gewürdigt. "Die Deutschen können vom Freistaat lernen", sagte Merkel am Freitagabend beim CSU-Parteitag in München.
München. Am ersten Tag des CSU-Parteitages in München schafft es nur einer, sich wirklich in Szene zu setzen: Edmund Stoiber. Ganz der Alte: Er hämmert mit der Hand auf das Rednerpult, im bekannten Stakkato redet der scheidende Parteichef seiner CSU noch einmal ins Gewissen - und sich mitunter in Rage. Hier spricht einer so, als ob er sich um Amt und Würden bewerben würde anstatt den Staffelstab zu übergeben. Von Wehmut und Nachdenklichkeit bei Stoiber keine Spur. Bayernkönig Edmund geht erhobenen Hauptes.Gabriele Pauli nimmt dreimal Anlauf
Das Schaulaufen der Kandidaten um seine Nachfolge im Parteivorsitz beginnt am Mittag: Horst Seehofer, der Bundesverbraucherminister, kommt als Erster, umringt von Kameras schlendert er lange durch die Vorräume, um dann als letzter der Konkurrenten die Messehalle zu betreten. Das garantiert ungeteilte, mediale Aufmerksamkeit. "Ich bin frisch und munter", grinst Seehofer. Er sei für alle Situationen gewappnet, "wenn man agieren muss, reagieren muss, oder wie ein Sandwich in der Mitte liegt", spielt er auf die heutigen Bewerbungsreden der Kandidaten an. Da scheint jemand die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben zu haben.Günther Beckstein kommt zu spät
Die Landrätin Gabriel Pauli, krasse Außenseiterin und seit ihrer skurrilen Vorschläge und provokanten Fotos gänzlich in Ungnade gefallen, nimmt gleich dreimal Anlauf - rein in die Halle, und wieder raus. Das hat Kalkül: Jedesmal ist sie umringt von Kameras, sie genießt das sichtlich, artig beantwortet sie jede Frage. "Ich habe mir kein bestimmtes Ziel gesetzt, sondern lasse alles auf mich zukommen", so Pauli. Als sie später ihre zwei Änderungsanträge zum Grundsatzprogramm begründet, rührt sich keine Hand zum Applaus. Erwin Huber, Kandidat Nummer drei, Wirtschaftsminister und Favorit auf den Parteivorsitz, stapelt wie in den vergangenen Wochen lieber tief: " Nein, nein, das Rennen ist noch nicht gelaufen", sagt er. Das Gegenteil stimmt: Der Mann glaubt an einen sicheren Sieg. Zu spät kommt Günther Beckstein, der designierte neue Ministerpräsident. Während Stoiber vorne über die Werte der CSU spricht, gibt Beckstein am Halleneingang Interviews. Warum auch nicht - für ihn ist ohnehin alles klar. Ende des Schaulaufens. Edmund Stoiber hält seine Rede so, als habe er mit alledem nichts zu tun. Vor allem: als würde seine Zeit als CSU-Chef und Ministerpräsident ausgerechnet an seinem 66. Geburtstag nicht ablaufen. 60 Minuten lang listet er die unverrückbaren Werte der CSU auf, seinen Stolz kann er nicht verbergen. Man könnte meinen, es gehe dabei auch um seine eigene programmatische Zukunft. "Die CSU ist kein Happening, sie wird durch Inhalte zusammengehalten und nicht durch Show", attackiert er indirekt die Frau, die seinen Sturz einleitete: Gabriele Pauli. Wer das vergesse, der gefährde die absolute Mehrheit der CSU, ruft Stoiber unter Applaus. Das dürfe nie passieren. "Wir sind die große Volkspartei!" Er spricht von Leitkultur, davon, dass Moscheen in Deutschland nicht höher sein dürften als Kirchtürme, der Mann weiß wie kein Zweiter, wie man die Seelen der Delegierten streichelt. Mit keinem Wort erwähnt er die Querelen um den Führungswechsel. Stattdessen: "Halten wir unsere CSU zusammen, für Bayern, für Deutschland für Europa!", lautet der letzte Satz seiner Rede. Die CSU-Delegierten springen auf und applaudieren minutenlang. Ohne große Rührung tritt Stoiber von der Bühne ab, kurz und bündig. Er steigt auf einen Stuhl und winkt den über 1000 Parteifreunden zu. Der Beifall wird immer frenetischer, nach den vielen Enttäuschungen der letzten neun Monate eine kleine Entschädigung für den angehenden Politpensionär. Er genießt die letzte Umarmung seiner CSU. Erwin Huber, Horst Seehofer und Günther Beckstein jubeln ihm ebenfalls zu, als ob sie nie an seinem Sturz beteiligt gewesen wären. Gabriele Pauli bleibt hingegen regungslos auf ihrem Platz sitzen - und senkt den Kopf. Stoibers Vermächtnis ist nicht ihres.Der herzliche Dank der Kanzlerin
Auch Angela Merkel, Bundeskanzlerin und Chefin der Schwesterpartei CDU, ist zum Stoiber-Abschied gekommen. Vergessen sind an diesem Tag all die Kontroversen und Rivalitäten der vergangenen Jahre zwischen ihr und Stoiber. "Der Streit in der Union hat sich immer als produktiv herausgestellt", blickt Merkel zurück. Und: "Selbst bei schlimmem Streit hatten wir immer eine gemeinsame Aufgabe", so die Kanzlerin. "Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit", ruft sie direkt Edmund Stoiber zum Abschied zu. Ein Satz, den bis zu diesem Moment noch keiner über die Lippen gebracht hat. Extra Arbeit tut Politikern gut: Viele sind dann zufriedener als im Ruhestand. Politiker - wie Edmund Stoiber - arbeiten viele Stunden am Tag. Die Zeit fürs Privatleben ist knapp. Trotzdem sind viele Politiker mit ihrem Leben sehr zufrieden — zumindest solange sie als Abgeordnete arbeiten. So nennt man die Politiker, die zum Beispiel im Bundestag mitbestimmen dürfen. Das Volk hat sie für eine bestimmte Zeit gewählt. Später ist das anders, sagt der Politik-Forscher Heinrich Best: "Viele Politiker im Ruhestand machen einen frustrierten Eindruck", sagt er. "Sie vermissen die Möglichkeit, etwas bewegen zu können." Best kommt aus Jena und hat die Lebensläufe von Politikern untersucht. Ihn überrascht es nicht, dass die meisten Politiker sich neue Aufgaben suchen, wenn sie nicht mehr Abgeordnete sind.