Die Perversion von Kinderliebe

TRIER. Alle Welt schaut auf den Irak - niemand schaut auf Dieter Gieseking. Das dürfte wohl die größte Befürchtung des Gründers der Online-Redaktion "Krumme 13" sein, wenn er sich mit einem weiteren Angeklagten heute in Trier vor Gericht verantworten muss. Die beiden sollen im Internet einen kinderpornografischen Text verbreitet haben.

Wenn Dieter Gieseking eines mag, dann ist es die Presse. In seinem Rundbrief, in dem er per E-Mail nach eigenen Angaben rund 450 "pädophil-liebende und tolerante Menschen" regelmäßig über seine Anliegen informiert, wird jede noch so kleine Erwähnung Giesekings oder der "Krummen13" euphorisch gefeiert. "K-13" im Fernsehen, "K-13" im Radio, "K-13" in einer Zeitung - damit, so sieht es Gieseking, wird endlich ein Tabu-Thema in der Öffentlichkeit diskutiert, das seiner Ansicht nach nichts als Normalität ist oder zumindest sein sollte: die einvernehmliche, auch sexuelle Liebe zwischen Erwachsenen und Kindern. "Das widerspricht diametral allen unseren Erfahrungen", sagt der Trierer Leitende Oberstaatsanwalt Horst Roos. Kinder seien nach sexuellem Missbrauch oft bis ins Erwachsenenalter traumatisiert. Ross Problem als Staatsanwalt: "Diese Theorien regen mich wirklich auf, aber sie zu äußern ist nicht strafbar." Deshalb kann Gieseking seit Jahren von sexueller Selbstbestimmung der Kinder faseln, behaupten, es gebe Kinder, die freiwillig Sex mit Erwachsenen pflegten und dadurch in keiner Weise physisch oder psychisch geschädigt werden. Und seit Jahren kann Gieseking ungestraft alles unternehmen, um sich und seinen Gesinnungsgenossen irgendwie ein seriöses Image zu verpassen. Dass das nötig ist, verwundert angesichts seiner wissenschaftlich bisher völlig haltlosen Thesen kaum. Wer in Zeiten von immer neuen Meldungen über verschleppte, missbrauchte und getötete Kinder Pädophilie salonfähig zu machen versucht, darf sich nicht wundern, wenn er auf Reaktionen von Ablehnung bis Hass stößt. Zumal nicht dann, wenn er eine Biographie wie Gieseking hat: Denn der 48-jährige musste wegen Verbreitung von Kinderpornografie schon 1998 eine einjährige Freiheitsstrafe absitzen, ist bei Polizei und Staatsanwaltschaft also alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Propaganda für seine Anliegen machte er schon damals: Im Gerichtssaal des Bitburger Amtsgerichts, wo er verurteilt wurde, wollte Gieseking offenbar allen Ernstes Aufkleber in eigener Sache verteilen. Der Richter zeigte sich damals wenig angetan und schickte den ehemaligen Bundesgrenzschutz-Beamten hinter Gitter - wegen Verbreitung von Pornografie in einem schweren Fall. Bei ihm waren Dutzende von Videos mit harter Kinderpornografie gefunden worden. Bei der Justiz kein unbeschriebenes Blatt

Nur weil Gieseking den Strafverfolgern seine Verkaufslisten überließ, die zahlreiche Strafbefehle an die Kunden zur Folge hatten, blieb es bei der noch relativ glimpflichen einjährigen Bewährungsstrafe. Spätestens seit dieser Zeit im Knast - wo das Ansehen von Pädophilen ähnlich gering ist wie im Rest der Gesellschaft - sieht sich Gieseking in einer Opferrolle. Denn statt, wie er es sich wünschte, seine Form von Kinderliebe als bloße Spielart von Sexualität zu betrachten, sind die meisten Menschen und Medien regelrecht über ihn hergefallen. Im Trierer Stadttteil Biewer warnten Nachbarn im August 2001 auf Flugblättern vor Gieseking. Und als der Trierische Volksfreund und der "Spiegel" einige Monate später über Giesekings Versuch berichteten, unter dem Namen "Krumme 13" einen "Gefangenenhilfeverein zur Beratung und Betreuung von gewaltfreien Pädophilen" im Vereinsregister des Amtsgerichts Trier eintragen zu lassen, gab es ein bundesweites, für Gieseking äußerst negatives Medien-Echo, Leserbriefe und Unterschriftenaktionen. Gieseking erklärte Trier daraufhin zur intoleranten Provinz und zog ins vermeintlich freizügigere Hamburg. Doch auch dort hatte er sich verrechnet: Boulevard-Zeitungen und lokale Radiosender fielen verbal über Gieseking her, seine Vermieter wollten ihn rauswerfen und der Pädophile fühlte sich gar seines Lebens nicht mehr sicher. Seinen Drang nach öffentlicher Anerkennung hat das aber wenig gebremst. Die Vereinsgründung ließ er zwar sein, betrieb die "Krumme 13" nur als Internetforum weiter. Doch nun will er offenbar den heutigen Prozess gegen ihn in Trier wieder als Forum nutzen. Seit Wochen bietet er sich per E-Mail Medien als Interviewpartner an, spricht von einem "Skandal-Prozess", kündigt Strafanzeigen gegen die Staatsanwaltschaft an und will bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Pressefreiheit sei in Gefahr, wettert er und sieht sich und den Mitangeklagten, einen 43-jährigen Diplom-Mathematiker, einmal mehr als Opfer und als Verfolgte. Verantworten müssen sich die beiden, weil sie über Giesekings Homepage einen kinderpornografischen Text verbreitet haben sollen. Der Text ist eine Art Lebensbeichte eines "Stefan", der von sexuellen Erlebnissen in seiner Kindheit mit einem "Werner" und seinem Lehrer namens "Gerd" berichtet. Autor des Textes soll der Mitangeklagte sein, Verantwortlich für die Homepage aber Gieseking. "Knallharte Pornografie" erkennt der Trierer Leitende Oberstaatsanwalt Horst Roos in dem Text. Gieseking habe sich auf seiner Homepage schon immer hart am Rande der Legalität bewegt. Doch mit "Stefan" sei ihm ein entscheidender Fehler unterlaufen. Nur der Text, nicht etwa Giesekings Ansichten zur Liebe mit Kindern stehen vor dem Amtsgericht (Beginn 11 Uhr, Saal 56) zur Verhandlung, auch wenn die die angekündigten Fernsehsender eher interessieren dürften. Für Medien-Echo ist also gesorgt, ein Auftritt in den Boulevarmagazinen am Nachmittag dürfte Gieseking gewiss sein. Wird er verurteilt, kann er sich allerdings möglicherweise nur hinter Gittern daran erfreuen.

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