"Die Sorgfalt des Wortes ist besonders gefragt"

Das Flüchtlingsthema wird das beherrschende Thema im rheinland-pfälzischen Wahlkampf. Davon ist der Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli überzeugt. Er warnt aber vor allzu radikalen Positionen der etablierten Parteien. Mit Sarcinelli sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

Herr Sarcinelli, wie erklären Sie sich die verschärfte Tonlage in der Politik? Teile der CDU fordern einen rigorosen Kurs in Sachen Flüchtlingspolitik. Auch in der SPD ist von Zuzugsbeschränkungen und Obergrenzen die Rede.
Ulrich Sarcinelli: Die Konfliktlinien laufen nicht mehr nur zwischen den Parteien, sondern auch innerhalb der Parteien, vor allem bei der CDU. Das hat auch damit zu tun, dass das von Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagte "Wir schaffen das" in der Realität angekommen ist. Die Zweifel bei der Basis aller etablierten Parteien wachsen, ob die Erwartungen erfüllt werden können.

Verliert die Parteiführung den Bezug zur Basis?
Sarcinelli: Es ist eine außerordentlich schwierige Gratwanderung, auf die sich die Parteifunktionäre derzeit begeben müssen. Einerseits besteht die Gefahr, dass sie ihre Wähler mit einer zu liberalen Politik in die Arme von Pegida treiben. Andererseits müssen sie die Bedenken vieler Bürger ernst nehmen. Die Kunst besteht darin, auf die Probleme einzugehen, aber gleichzeitig nicht die Wähler zu radikalisieren. Selten zuvor kam es bei der Politik so derart auf Sprachnuancen an. Die Sorgfalt des Wortes ist derzeit besonders gefragt.

Aber gerade bei der Union scheint diese Radikalisierung der Wähler doch schon längst gegeben zu sein, wenn man betrachtet, welchen Hasstiraden derzeit die Bundeskanzlerin ausgesetzt ist.
Sarcinelli: Bei der Union, vor allem bei der CDU, darf man auch nicht vergessen, welchen weittragenden Modernisierungskurs die Partei von Merkel verordnet bekommen hat. Vor allem im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklung. Die Flüchtlingspolitik ist ein Kristallisationspunkt, an dem der innerparteiliche Wertekonflikt wieder aufbricht. Die Partei und die Kanzlerin stehen vor einem Praxistest - und Merkel am entscheidenden Punkt ihrer Kanzlerschaft.

Wie wirkt sich das auf den Wahlkampf in Rheinland-Pfalz aus?
Sarcinelli: Die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik wird auf jeden Fall den Wahlkampf überlagern. Ich glaube aber nicht, dass der Wettlauf um den rigidesten Kurs von den Wählern belohnt werden wird. Aber gleichzeitig dürfen die Realitäten nicht wegdiskutiert werden, dass etwa die Aufnahmefähigkeit nicht unbegrenzt ist. Es wird viel zu wenig darüber diskutiert, dass die Her-ausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht, Lernprozesse von allen verlangen. Sowohl von uns, die wir Flüchtlinge aufnehmen, als auch von den Flüchtlingen, die zu uns kommen.

Was heißt das konkret?
Sarcinelli: Man kann Verfassungs- und Rechtstreue einfordern. Man kann deren Nichteinhalten sanktionieren. Man kann aber das Sich-nicht-Halten an gesellschaftliche Konventionen und Umgangsformen nicht von heute auf Morgen sanktionieren wollen. Das zu tun, ist polemisch und damit hoch problematisch. Ein wie von Julia Klöckner gefordertes Integrationspflichtgesetz macht sich gut in der Öffentlichkeit. Aber was heißt das eigentlich? Das heißt doch die Verpflichtung auf bestimmte Verhaltensweisen und die Übernahme von Leitbildern. Eine solche Verpflichtung kann der Staat aber nicht einfordern. Er muss den zu uns kommenden Menschen die Möglichkeit geben, zu lernen und sich zu entwickeln. Man kann aber nicht erwarten, dass Menschen - etwa aus Syrien - einfach den Schalter umlegen und sich dann so verhalten, wie wir das erwarten.

Sie sagen ja, das Flüchtlingsthema wird die Wahl in Rheinland-Pfalz überlagern. Welche Auswirkungen könnte das Thema denn auf Koalitionsverhandlungen haben?
Sarcinelli: Das Thema wird die Koalitionslotterie am Laufen halten. Es war aus meiner Sicht noch nie so schwierig wie derzeit, eine Koalition vorauszusagen. Es ist noch alles offen. Stimmungslagen, die derzeit von dem Flüchtlingsthema überlagert werden, bedeuten noch keine Wahlkampfentscheidung. Die Anzahl der Akteure, mit denen Mehrheiten gebildet werden, waren bei den vorangegangen Wahlen überschaubar. Das ist nach Lage der Dinge nun völlig anders. Klar zu sein scheint nur, dass die CDU stärkste Partei wird. Die Machtverteilung hängt aber auch davon ab, ob die FDP in den Landtag kommt, was durchaus möglich ist. Genauso denkbar ist es, dass die Linken und die AfD in das rheinland-pfälzische Landesparlament einziehen. Es ist gar nicht so unmöglich, dass wir ein Fünf- oder gar Sechs-Parteien-Parlament bekommen. wie

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