Die unaufgeregte Art des Regierens

Mainz · Malu Dreyer ist erst seit einem Jahr Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, doch von ihrem Vorgänger Kurt Beck spricht schon lange keiner mehr. Und trotz der Doppelspitze mit SPD-Chef Roger Lewentz ist die Trie-rerin auch die unangefochtene Nummer eins in ihrer Partei.

Mainz. Wenn Spitzenpolitiker Menschen Ratschläge erteilen, erregen sie Aufmerksamkeit. Von Kurt Beck sind zwei Auftritte haften geblieben, die bundesweit von den Medien genüsslich aufgegriffen wurden. Einmal empfahl der Pfälzer einem Arbeitslosen, er möge sich waschen und rasieren, dann werde es schon mit einem Job klappen. Ein anderes Mal fauchte Beck einen kritischen Studenten an, er solle "einfach mal das Maul halten".
Charmant und lächelnd


Will man Malu Dreyer mit ihrem Vorgänger Kurt Beck vergleichen, fällt der Unterschied wohl am deutlichsten in der Außendarstellung aus. Sie hat kein aufbrausendes, polterndes Naturell wie er. Malu Dreyer wirkt stets charmant. Sie lächelt viel. Verbale Ausrutscher unterlaufen ihr nicht. Bislang jedenfalls nicht.
Auch CDU-Chefin Julia Klöckner spürt diesen Unterschied. Während sie ihren einstigen Widersacher Beck gerne mit verbalen Spitzen auf die Palme brachte, versucht sie nur vorsichtig, Dreyer zu reizen. Die lässt das meist an sich abprallen. Wenn es ihr doch zu bunt wird, so wie kurz vor Weihnachten im Landtag, argumentiert Dreyer am Rednerpult sehr energisch und zielgerichtet - aber stets verbindlich.
Und so sagt die Oppositionsführerin zur Zusammenarbeit mit der Regierungschefin: "Atmosphärisch hat sich sicherlich einiges verändert. Wir respektieren einander und kommen persönlich gut miteinander aus. Es gibt also eine bessere Stimmung." Dass Klöckner anfügt, das sei zwar schön, reiche aber nicht aus, versteht sich wohl von selbst.
Malu Dreyers hoher Bekanntheits- und vor allem Beliebtheitsgrad, wie er in allen Umfragen deutlich wird, spricht für sich. Natürlich spielt dabei der Amtsbonus eine große Rolle, aber eben nicht nur. Die 52-Jährige kommt mit ihrer authentischen, unaufgeregten Art beim Volk an, so viel lässt sich nach einem Jahr als Ministerpräsidentin feststellen.
Wer im Haifischbecken der Politik bestehen will, muss aber auch andere Qualitäten besitzen. Entschlossenheit zum Beispiel. Führungswillen. Überzeugungskraft.
Ministerinnen und Minister ihres Kabinetts erzählen übereinstimmend, dass Malu Dreyer die Zügel straff in der Hand hält. Ihre "Wünsche" äußert sie mitunter per SMS, wie sie überhaupt alle modernen Kommunikationsformen nutzt. Es bleiben keine Zweifel, was die Ministerpräsidentin will - und dass es auch gemacht wird.
Man könnte glauben, dass langjährige Mitstreiterinnen wie Bildungsministerin Doris Ahnen, die wie Dreyer seit mehr als zehn Jahren der Landesregierung angehört, vielleicht Probleme damit hätten, eine ehemals Gleichgestellte als Führungsfigur anzuerkennen. Haben sie aber nicht. Für jeden im Kabinett ist Malu Dreyer die Chefin. Ihr Wort gilt.
Aus Reihen der Opposition ist beim Amtswechsel geunkt worden, es werde Probleme mit der Doppelspitze in der SPD geben. Davon ist nichts zu sehen und nichts zu spüren. Innenminister und Parteichef Roger Lewentz, der selbst lange als potenzieller Beck-Nachfolger galt, hat seinen Ehrgeiz gezügelt und stellt sich komplett in den Dienst der Sache. "Wir scharen uns alle hinter Malu Dreyer", sagt Lewentz. Und er meint es nicht nur, er macht es auch so. Alles andere bekäme ihm wohl schlecht, denn die SPD verehrt ihre Vorzeigefrau.
Dreyer pflegt einen etwas anderen Führungsstil als ihr Vorgänger, erzählen Minister. Kurt Beck war es wichtig, alle mitzunehmen. Das ist es Dreyer auch, aber sie hat oft noch keine abschließende Meinung, sondern wartet die Diskussionen im Kabinett ab und nimmt die verschiedenen Ansichten auf, ehe sie sich ein Urteil bildet.
Kooperativer Führungsstil


Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie Juristin ist und mal Richterin auf Probe war.
Der kooperative Führungsstil wird auch von Dreyers rechter Hand, Staatskanzleichefin Jaqueline Kraege, gepflegt. Die beiden Damen kommunizieren sehr viel. Das gefällt im Kabinett.
Den ein oder anderen fachlichen Nachholbedarf, etwa in Finanzfragen, merkt man der früheren Sozialministerin noch an. Sie arbeitet jedoch daran und gilt als detailversessen, ähnlich wie Kurt Beck, der oft als "Aktenfresser" bezeichnet wurde.
Der grüne Koalitionspartner lobt die Ministerpräsidentin noch mehr als ihren Vorgänger, der das Bündnis geschmiedet hatte. Fraktionschef Daniel Köbler und seine Mitstreiter fühlen sich mit ihren Herzensanliegen wie der Energiewende oder dem Nationalpark ernst genommen.
Die Zusammenarbeit funktioniert im Wesentlichen geräuschlos. Der Koalitionsausschuss als höchstes Gremium der Partner hat nicht oft tagen müssen. Dem Vernehmen nach versteht sich Malu Dreyer bestens mit ihrer Stellvertreterin Eveline Lemke und räumt mit der Grünen mögliche Stolperfallen beizeiten unter vier Augen aus dem Weg.
Die Bürde ihres Amtes spürt die Sozialdemokratin sehr wohl. Obwohl sie weniger Termine wahrnimmt als ihr Vorgänger, der auch als SPD-Chef täglich Hände schüttelte, registriert sie, dass ihr weniger private Zeit verbleibt. "Zum Glück ist mein Mann auch Politiker und versteht das", sagt Dreyer. Es müsse halt besser organisiert werden.
Anfänglich geäußerte Zweifel, die seit vielen Jahren an multipler Sklerose erkrankte Frau könne deshalb das Amt der Ministerpräsidentin irgendwann nicht mehr ausfüllen, hört man übrigens nicht mehr. Vielleicht liegt das auch daran, dass Malu Dreyer selbst keine hat und betont, sie habe ihre Entscheidung "noch keine Sekunde bereut".

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