Interview Julia Klöckner „Digitalisierung kann kleinen Höfen helfen“

Mainz/Berlin · Die Bundesagrarministerin will für internationale Regeln kämpfen, fürchtet kein Betriebssterben und spricht über lahmes Internet.

 Die „Grüne Woche“ soll Früchte tragen – wie bei der digitalen Landwirtschaft. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) steht neben einer Apfelplantage, die durch Laserscanner und Sensoren überwacht wird.

Die „Grüne Woche“ soll Früchte tragen – wie bei der digitalen Landwirtschaft. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) steht neben einer Apfelplantage, die durch Laserscanner und Sensoren überwacht wird.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Julia Klöckner nennt es das „Davos der Landwirtschaft“: Am Rande der „Grünen Woche“ in Berlin lädt die Agrarministerin zum „Global Forum for Food and Agriculture“ ein, wo die CDU-Politikerin mit Ministern aus aller Welt spricht und digitale Landwirtschaft auf internationale Füße stellen will. Was der Sinn eines globalen Regelwerks ist, ob Digitalisierung nicht kleine Höfe ruiniert und was sie zu lahmem Internet sagt, beantwortet die rheinland-pfälzische CDU-Chefin im Interview mit TV-Redakteur Florian Schlecht.

Frau Klöckner, welches Bild haben Sie im Kopf, wenn Sie an einen Eifel-Bauernhof im Jahr 2040 denken?

Julia Klöckner: Respekt, Heimat, Genuss, Landschaft ... Aber natürlich mit Hightech auf dem Acker und im Stall. Das erleichtert dem Landwirt die Arbeit. Roboter auf dem Feld werden selbstverständlich sein, die Datenübertragung verläuft direkt von der Ackerfurche in die Cloud, ins Supermarktregal bis auf den Teller des Verbrauchers. Moderne Höfe setzen auf Präzisionslandwirtschaft, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, weil Maschinen erkennen, ob Nutzpflanze oder Schädling und passgenau Dünger oder Pflanzenschutzmittel auftragen. Das ist gar nicht weit weg von heute. Schon jetzt gibt es den digitalisierten Stall mit Melkrobotern, Tierwohlmessung und Vernetzung aufs Handy des Bauern. Dazu gehört aber vor allem eine schnelle, flächendeckende Breitbandversorgung.

Heute klingt moderne 5G-Technik an jeder Milchkanne in Deutschland immer noch nach Science-Fiction. Wie lange sollen viele landwirtschaftliche Betriebe noch von der Digitalisierung abgehängt bleiben?

Klöckner: Die flächendeckende Anbindung an schnelles Internet – digitale Autobahn statt Schotterpiste – ist gerade in ländlichen Regionen das beherrschende Zukunftsthema, ein wesentlicher Standortfaktor. Insbesondere auch für Landwirte, weil die Milchkanne von gestern heute eben der Melkroboter ist. Telearbeit im Dorfcafé, künstliche Intelligenz auf dem Acker und im Stall müssen selbstverständlich sein. Das geht nicht von heute auf morgen, muss aber das klar formulierte politische Ziel sein.

Frequenzen für 5G sollen im Frühjahr versteigert werden. Kritiker warnen, dass die moderne Technik nicht bei vielen Dörfern und Einzelsiedlungen ankommt.

Klöckner: Der aktuelle Befund ist eindeutig, es gibt zu viele weiße Flecken auf der Landkarte. Wichtig wird sein, bei deren Beseitigung den Blick zu weiten. Es geht nicht nur um den Anschluss jedes Haushalts. Wir müssen weiter gehen, diesen Anspruch auch für die gesamte Fläche haben – für die Äcker und Wälder.

Sie sind Bundesministerin. Machen Sie doch Druck!

Klöckner: Genau das war Thema unserer Kabinettsklausur zur Digitalisierung Mitte November in Potsdam – und gehen Sie davon aus, es wird sich etwas bewegen.

Bei der Grünen Woche wollen Sie die landwirtschaftliche Digitalisierung international voranbringen. Was schwebt Ihnen vor?

Klöckner: Wir wollen den Digitalisierungsprozess aktiv gestalten, einen Rahmen setzen, der global gültig und anerkannt ist. Und der deutlich macht, dass wir digitale Technologien nicht als Selbstzweck betrachten, sondern sie dem Menschen dienen sollen. Der Status quo ist weltweit hier sehr unterschiedlich. Aufgabe wird daher sein, ein Instrument zu entwickeln, um überhaupt vergleichen und so klar sehen zu können, wo welche Schritte notwendig sind, um Potenziale der Digitalisierung besser nutzbar zu machen und Risiken zu minimieren. Wir brauchen einen internationalen Digitalrat für die Landwirtschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen sowie einen Digitalindex für die Agrarwirtschaft und ländliche Regionen.

Wie helfen internationale Regeln dem Landwirt in der Eifel und im Hunsrück?

Klöckner: Regelungen, Standards und Normen bedeuten Sicherheit und Verlässlichkeit für den Landwirt, gerade dann, wenn man durch den Ex- und Import international vernetzt ist, gerade, wenn es um sensible Daten oder den Zugang zu Märkten geht. Sensibel ist die Aufzeichnung von Daten, wenn es um persönliche Betriebszahlen geht. Aber durch die Digitalisierung und Vernetzung werden auch Kooperationen erleichtert, Techniken und Maschinen optimiert. Digitalisierung kann nie nur national gedacht werden, das wäre naiv.

Sie sagen, die digitale Landwirtschaft könne auch den Hunger in der Welt bekämpfen. Wie kann das gelingen?

Klöckner: Ein hungriger Magen findet keinen Frieden. Und eine moderne und digitalisierte Landwirtschaft bietet weltweit das Potenzial und die Chance, effizienter und zugleich ressourcenschonender, nachhaltiger zu produzieren und so mehr Menschen satt zu machen. In nur wenigen Jahren wird die Weltbevölkerung um zwei Milliarden Menschen gewachsen sein. Es gibt Landwirtschaft in Regionen mit schwierigen klimatischen Bedingungen, da kann die Ernte mit hilfe der Digitalisierung gesichert oder Nachernteverluste vermieden werden. Zielgenauere Wetterprognosen, Beratungen, Rückverfolgbarkeit, passgenaue Behandlung von Pflanzen – all das wird dann möglich sein. Das gibt Perspektiven in den Heimatländern und ist ein Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung.

Welche Beispiele von digitaler Technik erstaunen Sie in anderen Ländern, die Sie sich auch für Deutschland vorstellen können?

Klöckner: Bei unserem GFFA-Forum wird es auch eine Innovationsbörse mit Ausstellern aus aller Welt geben. Mich hat in Argentinien ein junges Start-up beeindruckt, das mit hilfe von Drohnen- und Wärmebildern zu einem Zeitpunkt Schädlinge im Mais erkennt, wenn das menschliche Auge noch keine Chance hat. Dann wird eben nicht jede Pflanze breitflächig mit Pflanzenschutzmittel behandelt, sondern nur jene, die betroffen sind. Den Start-up-Unternehmer, den ich vergangenes Jahr in Buenos Aires traf, habe ich nach Berlin eingeladen.

Beschleunigt die Digitalisierung nicht zuletzt das Höfesterben in der Landwirtschaft? Teure Techniken – wie Melkroboter – können sich doch nur reiche Landwirte leisten.

Klöckner: Der Melkroboter ist ein Beispiel von vielen. Ich stelle die Gegenthese auf: Gerade Technologien wie Apps, Beratungsdienstleistungen, Hinweise zu Krankheitsbildern oder digitale Lösungen, die Preistransparenz und Marktzugang bieten, sind leicht und vergleichsweise kostengünstig zugänglich. Sie können den Alltag von Landwirten erheblich erleichtern – auch darum geht es.  Der Beruf des Landwirts ist anstrengend und fordernd, Arbeitskräfte für die Landwirtschaft sind sehr schwer zu finden, und besonders die junge Generation hat gewisse Ansprüche an eine sogenannte Work-Life-Balance. Die Digitalisierung kann gerade kleinen Höfen helfen, ihre Arbeit zu machen.

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