Drogen sind bei Jugendlichen kein Massenphänomen

Trier · Viele Jugendliche kiffen oder nehmen künstliche Drogen wie Amphetamine. Doch eine dramatische Steigerung des Drogenkonsums bei Zwölf- bis 17-Jährigen sei nicht zu verzeichnen, sagen Suchtberater.

Trier. Es gebe, sagt ein erfahrener Drogen-Polizist, keine neunte Klasse einer weiterführenden Schule, in der nicht mindestens ein Schüler illegale Drogen nehme. Das klingt zunächst einmal dramatisch. Auf den ersten Blick werden damit Zahlen bestätigt, die vor einer Woche für Aufregung sorgten: Schüler konsumieren mehr Drogen. Doch Andreas Stamm, Leiter der Suchtberatung Die Tür in Trier, beruhigt. Das sei gerade mal ein Drogenkonsument auf rund 30 Schüler. Die Aussage zeige doch, dass Drogenkonsum an Schulen kein Massenproblem sei. Auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen weist darauf hin, dass Statistiken über Drogendelikte nicht geeignet seien, das Ausmaß des Drogenkonsums unter Schülern wiederzugeben. Diese Statistiken würden nur Auskunft darüber geben, in welchem Umfang die Ermittler an Schulen solche Straftaten aufdeckten. Eine Lehrerin an einer Realschule plus im Kreis Trier-Saarburg bestätigt das. Sie habe zwar bei vereinzelten Schülern den Verdacht, dass sie außerhalb der Schule kifften. Aber weit verbreitet sei das Problem an den Schulen, an denen sie bislang unterrichtet habe, nicht. "Eltern brauchen eigentlich keine Angst davor haben, dass ihre Kinder in der Schule automatisch mit Drogen in Kontakt kommen", meint die Lehrerin. Insgesamt kämen die Schulen im Land "gut mit der Problematikzurecht", sagt Hjalmar Brand, Landesgeschäftsführer der Lehrergewerkschaft VBE.Probleme in der Familie


Suchtberater, wie Josef Fuchs von der Fachstelle Suchtprävention des Caritasverbandes Westeifel in Prüm, wehren sich dagegen, dass durch eine Dramatisierung der Zahlen - in Sachsen-Anhalt soll sich die Zahl der Drogendelikte in Schulen verdreifacht haben, von 42 im Jahr 2011 auf 109 in 2015 - die Drogenprävention in Schulen infrage gestellt wird. "Wir denken, dass wir hier alle sehr gute Arbeit im Bereich der Prävention machen", sagt Fuchs. Man dürfe allerdings den Erfolg von Prävention nicht daran messen, dass Jugendliche nicht doch irgendwann einmal Drogen konsumierten, sagt Rebecca Kraus, Suchtberaterin bei Der Tür in Trier. Der Sinn von Prävention sei, vor der Sucht zu warnen. Nicht alle Jugendlichen, die vielleicht aus Neugierde Haschisch rauchten, seien süchtig, ergänzt Suchtberater Stamm. Er schließt nicht aus, dass bei einigen Jugendlichen durch Prävention in der Schule sogar die Neugierde erst geweckt werde.
Andere Gründe, warum Schüler zu Drogen wie Cannabis oder künstlichen Rauschgiften wie Amphetaminen greifen, seien zumeist familiäre Probleme, etwa Trennung der Eltern, sagt Fuchs. Sie wollen damit bestimmte Lebenssituationen bewältigen, sähen in den Drogen eine Alternative zu ihrer momentanen Situation. Da passten dann eben Cannabis, das eher entspannend wirkt, und Amphetamine, die aufputschen, sagt Fuchs.
Die Suchtberater wissen, dass Eltern oft fassungslos sind, wenn sie entdecken, dass ihr Kind Drogen nimmt. So wie der Vater eines Sohnes, der bei Fuchs Rat gesucht hat. "Wir haben ihm gesagt: Wir sind doch deine Eltern und immer für dich da. Aber er wollte uns nicht sehen." Oder die Mutter einer 19-Jährigen. Ihre Tochter sehe die Drogen nicht als Problem. Trotz der Absprache, dass sie zu Hause nichts konsumieren dürfe, finde sie, sagt die Mutter, immer wieder etwas bei der Tochter. "Und dann bin ich zu feige, sie darauf anzusprechen." Genau das sei aber falsch, sagt Stamm. "Die Eltern sollten erst einmal mit ihren Kindern reden, ohne ihnen zu drohen. Sie sollten Interesse zeigen, fragen, warum sie Drogen nehmen", rät der Suchtberater. Wichtig sei, den Kindern auch weiter zu vertrauen, sie nicht aufzugeben. Doch statt mit den Kindern zu reden, kämen viele Eltern gleich zur Suchtberatung. "Wir können keine Fernheilung machen", warnt Stamm vor überzogenen Erwartungen.
Natürlich sollte der Drogenkonsum der Kinder nicht verharmlost werden. Zumal, wie Stamm auch sagt, die Wirkung des heute üblicherweise verkauften Haschischs um ein Vielfaches höher als das "Gras", das womöglich die Eltern früher selbst mal geraucht haben. Doch die Suchtberater warnen auch dabei vor einer Dramatisierung. Nicht immer ende der unregelmäßige Drogenkonsum direkt in einer Sucht und in völliger Einsamkeit und Verwahrlosung.
Während illegale Drogen bei vielen Eltern Panik und Verzweiflung auslösen, wird bei Alkohol nicht selten ein Auge zugedrückt. Der Alkoholkonsum unter Jugendlichen sei ein Problem, sagt VBE-Landesgeschäftsführer Brandt.
Vor allem die Mischgetränke wie Limo mit Wodka oder Rum seien beliebt. Suchberaterin Kraus ist sich sicher, dass in einer neunten Klasse von weiterführenden Schulen mehr Schüler regelmäßig Alkohol trinken als illegale Drogen zu konsumieren. "Das", so Kraus, "wird aber selten thematisiert".Extra

Dass die eigenen Kinder illegale Drogen nehmen - das möchten sich viele Eltern gar nicht ausmalen. Viele fragen sich: Würde ich das überhaupt mitbekommen? "Eindeutige Signale gibt es da nicht", sagt Michaela Goecke, Leiterin des Referats für Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dennoch gibt es einige Hinweise, die Eltern einen Anhaltspunkt geben können. Goecke nennt etwa verändertes Verhalten wie einen neuen Kleidungsstil oder Musikgeschmack, andere Freunde oder nachlassende Schulleistungen. "Das kann natürlich auch ganz normales pubertäres Verhalten sein, aber auch im Zusammenhang mit Drogen stehen", sagt Goecke. Wie Eltern im Verdachtsfall am besten reagieren, hängt auch davon ab, ob es sich um ein einmaliges Experiment oder dauerhaften Konsum handelt. Goecke rät, mit dem Kind in Kontakt zu bleiben - aber sich auch Hilfe von außen zu holen. Im Gespräch mit dem Kind sollten Eltern keinen Vorwurf machen, sondern eher ihre Sorge und Unterstützung zum Ausdruck bringen. dpaExtra

Nach Angaben der Hauptstelle für Suchtberatung ist die Zahl der jugendlichen Drogenkonsumenten im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren nicht so dramatisch gestiegen, wie es kürzlich veröffentlichte Kriminalstatistiken vermuten lassen. Zwischen 2011 und 2015 sei die Zahl derjenigen, die in den zurückliegenden 30 Tagen mindestens einmal Haschisch konsumierten, von 1,9 Prozent auf 2,2 Prozent gestiegen. 2011 hätten 4,6 Prozent mindestens einmal im zurückliegenden Jahr Cannabis konsumiert, 2015 seien es 7,3 Prozent gewesen. wie

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