Ein Leben wie ein Geschichtsbuch

Gondorf/Neuerburg · Zweiter Weltkrieg, der Anfang des Eifelparks oder das Windelgeld: Wer wie Anna Busch aus Gondorf 90 Jahre lang in einem Dorf gewohnt hat, weiß einiges zu berichten. Der TV hat sie besucht und mit ihr in Erinnerungen geschwelgt.

 Von Geburt an lebt die 90-jährige Anna Busch in Gondorf. Wegen der vielen Pflanzen in ihrem Garten wird sie auch die Blumenfrau genannt. TV-Foto: Laura Lehnen

Von Geburt an lebt die 90-jährige Anna Busch in Gondorf. Wegen der vielen Pflanzen in ihrem Garten wird sie auch die Blumenfrau genannt. TV-Foto: Laura Lehnen

Gondorf/Neuerburg. Ein idyllisches Einfamilienhaus in Gondorf: Vor der Tür steht eine Sitzbank, und rundherum schmücken bunte Blumen das Anwesen. Alles sieht liebevoll gepflegt aus. Ein idyllisches Einfamilienhaus. In dem Haus wohnt aber keineswegs eine Familie mit Vater, Mutter und spielenden Kindern. Nein - hier wohnt eine 90-jährige Frau. Anna Busch. Im Dorf auch besser bekannt als Buschen Anna.Dorf geschichte(n)


"Ich hatte eine schöne Kindheit", erzählt sie. An die vielen Murmel- und Versteckspiele denkt sie mit einem Lächeln zurück. Nach dem Kindesalter machte sie eine Ausbildung zur Landwirtschaftsgehilfin.
Dass Frauen eine Ausbildung machen, war zu der Zeit noch nicht selbstverständlich. Ihren Verdienst, 25 Mark im Monat, durfte sie jedoch nicht behalten. Das Geld ging an ihren Vater - Windelgeld, wie er es nannte. Gleich nach ihrer Ausbildung, da war sie 18 Jahre alt, brach der Zweite Weltkrieg aus: Ihre drei Brüder wurden eingezogen, so dass sie und ihre vier Schwestern zu Hause auf dem Elternhof helfen mussten. "Wie ein Mannskerl habe ich geschafft", sagt sie. Doch das hervorzuheben ist ihr unangenehm: "Andere haben auch viel gemacht." Den amerikanischen Angriff auf Gondorf im Frühjahr 1945 überlebte sie - wenn auch knapp. Kurz darauf war der Krieg vorbei. Ein alter Freund kehrte aus dem Krieg zurück: Nikla Busch. Die beiden verliebten sich und heirateten 1951. Mit ihm hat sie zwei Kinder.
Bis 1978 bewirtschafteten sie ihren eigenen Bauernhof. Neue Arbeit fand sich schnell: Der Eifelpark öffnete 1964 in Gondorf. Schon vorher halfen die beiden bei den Aufbauarbeiten. 17 Jahre arbeiteten sie im Tierpark, bevor sie sich zur Ruhe setzten.
Was im Dorf vor sich geht, weiß Anna Busch ganz genau. Und wenn sie etwas vergessen hat, kann sie es einfach wieder nachlesen: in ihren Tagebüchern. 1988 hat sie angefangen, täglich alles aufzuschreiben. Nicht nur ein ausführlicher Wetterbericht taucht auf jeder Seite auf, sondern auch, was sie an dem Tag gemacht hat, wer sie besucht hat und ob sie beim Arzt war.
Was sich in 90 Jahren geändert hat? Wohl am meisten die Einstellung zur Religion. "Bis zum 18. Lebensjahr musste man in die Christenlehre", erinnert sich Anna Busch. Dementsprechend war das Thema Sexualität tabu. Man sprach nicht darüber, und wenn, dann verklausuliert. Wenn eine Frau schwanger war, hieß es, sie sei "anders" und bekäme ein "Dingens". Und so haben sich die Menschen in 90 Jahren auch in anderen Lebensbereichen weiterentwickelt. Anna Busch, die seit dem Tod ihres Mannes 2009 alleine lebt, wollte diese Entwicklung noch eine Weile vor Ort beobachten. Doch aus gesundheitlichen Gründen wohnt sie seit kurzem in einem Seniorenheim in Neuerburg. Ihre Kinder bemühen sich zurzeit um einen Platz für sie im Speicherer Altenheim. Dann wäre sie näher am Gondorfer Geschehen. "Ich hoffe Anna Busch führt ihre Tagebücher weiter", sagt Otmar Kaufmann, Bürgermeister von Gondorf. "Das ist eine Quelle des Wissens." Auch die Gondorfer Nachbarn vermissen "Buschen Anna": Sie hat ihnen immer Ratschläge bei komplizierten Stricktechniken gegeben.
Die vielen bunten Blumen stehen immer noch vor ihrem Haus. Wegen ihnen wird sie im Dorf auch die Blumenfrau genannt.

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