Verkehr Ein Zettel an der Scheibe reicht nicht

Trier/Goslar · Wer nach einem Unfall einfach abhaut, begeht Fahrerflucht und damit eine Straftat. Experten halten das für überholt.

 Viele Autofahrer glauben, dass es reicht, nach einem kleinen Parkrempler einen Zettel mit der Anschrift an die Windschutzscheibe zu klemmen, und dann wegfahren zu können. Das ist falsch. Man wird damit zu einem Straftäter.

Viele Autofahrer glauben, dass es reicht, nach einem kleinen Parkrempler einen Zettel mit der Anschrift an die Windschutzscheibe zu klemmen, und dann wegfahren zu können. Das ist falsch. Man wird damit zu einem Straftäter.

Foto: dpa/Jens Wolf

Hunderttausende Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden jedes Jahr nach Unfällen zu Straftätern, weil sie die Unfallstelle vorzeitig verlassen. Nach Paragraf 142 des Strafgesetzbuchs machen sie sich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig. Auf eine solche Unfallflucht steht Geld- oder Freiheitsstrafe – und zwar nicht nur, wenn es Verletzte oder gar Tote gab. Auch bei Blechschäden drohen Strafe und Fahrverbot, selbst wenn der Verursacher sich später meldet und den Schaden wieder gutmacht. Verkehrsjuristen halten die Vorschriften in ihrer jetzigen Form für überholt.

Wie häufig ist Unfallflucht in Deutschland?

Das Statistische Bundesamt erfasst nur Fälle von Unfallflucht nach Personenschaden. 2016 haben sich demnach 26 720 Verkehrs­teilnehmer des Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht. Wenn auch Fluchten nach Parkremplern und anderen Blechschäden dazugerechnet werden, ist die Zahl nach Schätzungen um ein Vielfaches höher. Der Auto Club Europa (ACE) geht von rund 500 000 Fällen pro Jahr aus.

Wann begeht man eigentlich Fahrerflucht?

Es ist schnell passiert: Beim Einparken verschätzt man sich, schrammt am nebenstehenden Auto vorbei, es entstehen ein paar Kratzer. Weil man es eilig hat, klemmt man einen Zettel mit einer Entschuldigung und seiner Telefonnummer hinter den Scheibenwischer und fährt weg. „Das reicht nicht aus“, sagt der Trierer Verkehrsrechtsanwalt Jürgen Verheul. Obwohl man es gut gemeint hat, macht man sich damit zum Unfallflüchtigen. „Wer nicht auf den Geschädigten wartet oder die Polizei ruft und sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, begeht Fahrerflucht. Und damit eine Straftat“, heißt es auch beim ADAC.

Was kritisieren Verkehrsjuristen?

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) nennt den Unfallflucht-Paragrafen ein juristisches Unding. Die Strafandrohung diene nur dem Schutz zivilrechtlicher Ansprüche der Geschädigten, sagt Rechtsanwalt Andreas Krämer von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Besser wäre aus Sicht der Verkehrsanwälte eine gesetzliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Meldung eines Schadensfalls bei Unfällen. Ein Verstoß dagegen wäre eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld geahndet werden kann. Das sieht auch der Trierer ADAC-Vertragsanwalt Jürgen Verheul so. Eine Reform des Straftatbestands der Unfallflucht sei gerechtfertigt, sagt er unserer Zeitung. Eine Entkriminalisierung bei leichten Schäden sei angebracht.

Gebe es bei einem Unfall mit Fahrerflucht Verletzte, müsse auch weiterhin der Flüchtige, falls er gefasst werde, bestraft werden und auch mit Führerscheinentzug rechnen, so Verheul.

Was sagt der ADAC?

„Wer sich entfernt, um für den angerichteten Schaden nicht einstehen zu müssen, verhält sich rücksichtslos“, sagt ADAC-Verkehrsjurist Markus Schäpe. Geschädigte müssten geschützt werden. Dafür sei das Strafrecht aber nur bedingt geeignet. „Wenn man es mit dem Opferschutz ernst nimmt, muss eine nachträgliche Meldemöglichkeit geschaffen werden, die weder strafrechtlich noch versicherungsrechtlich nachteilige Folgen für den Unfallverursacher hat.“ Dann würden sich vermutlich mehr Unfallverursacher nachträglich melden. Eine solche Deregulierung bei geringeren Sachschäden würde auch Polizei und Justiz entlasten.

Welche Position haben die Polizei-Gewerkschaften?

Unfallverursacher entfernten sich unerlaubt von der Unfallstelle, weil sie höhere Versicherungsbeiträge fürchten“, sagt Benno Langenberger, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Die Strafbarkeit von Unfallfluchten anzutasten würde bedeuten, dass es sich künftig für Unfallverursacher wirklich lohnt, sich ihrer Verantwortung zu entziehen und die Geschädigten auf ihren Kosten sitzen zu lassen.“ Das, so Langenberger, würde bedeuten, „aus einer vorsätzlichen Tat mit hohem Fremdschaden ein Kavaliersdelikt zu machen. Eine unerträgliche Vorstellung.“

Was sagt der rheinland-pfälzische Justizminister?

Eine völlige Straffreiheit der Unfallflucht, insbesondere wenn es Verletzte oder gar Tote gibt, lehnt Herbert Mertin (FDP) ab. Für Vorschläge, wie sie von den Anwälten gemacht wurden, wenn sich der Unfallverursacher also binnen einer bestimmten  Frist bei der Polizei meldet, zeigt sich der Minister durchaus offen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort