"Eine schwere pädagogische Fehlleistung"

IRSCH/SAAR. Ein merkwürdiger Vorgang im örtlichen Kindergarten sorgt für Aufregung in der Saar-Gemeinde Irsch. Die Leiterin der Tagesstätte ist auf eigenen Wunsch von ihrer Funktion entbunden und versetzt worden, heute sollen die Eltern in einer Versammlung über Details informiert werden.

Seit Wochen machen unglaubliche Gerüchte die Runde in Irsch. Ein Kind soll angeblich im dortigen Kindergarten, der zur katholischen Kita GmbH gehört, gefesselt, an einen Stuhl gebunden und mit einem Pflaster geknebelt worden sein. Und zwar nicht von anderen Kindern, sondern von Erzieherinnen der Einrichtung. Herauszufinden, was Dichtung und was Wahrheit ist, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn die unmittelbaren Augenzeugen des Vorgangs sind entweder Kinder im Vorschulalter oder Betroffene.Eskalation unmittelbar vor den Ferien

Nach TV -Informationen hat sich am 27. Juli, unmittelbar vor Beginn der Kindergartenferien, Folgendes abgespielt: Ein sechsjähriger Junge hatte sich über die Mittagszeit recht rabaukenhaft aufgeführt. Von Spucken und Schlagen gegenüber anderen Kindern und dem Personal ist die Rede, auch die Erzieherinnen brachten das Kind offenkundig nicht zur Ruhe. Heute leider kein ungewöhnlicher Vorgang in Kindertagesstätten, um so ungewöhnlicher die Reaktion der Erzieherinnen: Der Sechsjährige, so die übereinstimmenden Aussagen, sei mit Tesakrepp an den Händen gefesselt worden, um ihn ruhig zu stellen. Andere Kinder bekamen den verstörenden Vorgang mit. Dass der Junge geknebelt oder an den Stuhl gebunden worden sei, bestätigt allerdings niemand - offenkundig ein Gerücht. Die Mutter des Kindes, die sich nicht öffentlich äußern will, kam durch Zufall früher als geplant in den Kindergarten, um ihre beiden dort befindlichen Kinder abzuholen. Die Handfesseln waren inzwischen abgenommen worden, angesichts der spannungsgeladenen Situation kam es aber zu einem Gespräch zwischen der Mutter und der Kindergartenleiterin in deren Büro. Unterdessen hatte der Junge wieder zu toben begonnen, und als die Mutter zurückkehrte, hielten ihn zwei Mitarbeiterinnen gerade am Stuhl fest. Ob dabei ein Springseil im Spiel war, darüber gehen die Aussagen auseinander. Die Mutter ließ ihren Sohn dennoch zunächst im Kindergarten zurück. Erst als ihr zu Hause die Tragweite des Geschehens klar wurde, holte sie ihren Sohn ab und ging mit dem Kind zum Arzt, der blaue Flecke attestierte. Warum man zu solchen Maßnahmen griff, statt sie einfach anzurufen und zu bitten, den Jungen abzuholen, wollte der Mutter nicht in den Kopf. Am folgenden Tag informierte sie die zuständigen Aufsichtsbehörden, die wiederum den Kindergartenträger, die Kita-GmbH in Kenntnis setzten. Dort zog man nach Anhörung der Beteiligten zügig Konsequenzen. Die Leiterin des Kindergartens gibt auf eigenen Wunsch ihre Funktion ab und wird ohne Leitungstätigkeit an eine andere Einrichtung versetzt. Eine weitere Erzieherin verliert ihre Gruppenleiter-Funktion, die personelle Zuordnung im Kindergarten wird neu geregelt. Von härteren Maßnahmen habe man abgesehen, weil es nach Einschätzung der Kita GmbH einen "einmaliger Vorgang" sei. Die Betroffenen, sagt Geschäftsführerin Cordula Scheich, hätten eingesehen, dass es sich um eine "schwere pädagogische Fehlleistung" handele. Man will sich allerdings bei den Eltern informieren, ob es noch andere gravierende Vorfälle gegeben habe. Die "Ausrutscher-Theorie" bekräftigt auch die Vorsitzende des Elternbeirates, Monika Baldus. Das Personal des Kindergartens habe bislang "eine Super-Arbeit gelei-stet" und zu Kritik keinen Anlass gegeben. Um so mehr seien "die Leute in Irsch jetzt erschreckt über diesen einmaligen Vorfall". Der Elternbeirat hat für heute Abend gemeinsam mit dem Träger zu einem Elterngespräch eingeladen. Umfassende Aufklärung sei dringend notwendig, "um den überbordenden Gerüchten zu begegnen". Deshalb sollten "sich die Betroffenen selbst äußern können", verspricht Monika Baldus. Die bisherige Kindergartenleiterin bedauert die Vorgänge außerordentlich. "Wir hätten das nicht eskalieren lassen dürfen", sagt die Erzieherin, die seit fast 30 Jahren in Irsch tätig ist, fast beschwörend. Wie es zu dem Fehlgriff kam, kann sie sich selbst nicht erklären. Die beteiligten Mitarbeiter haben sich bei der Mutter und dem Jungen ausdrücklich entschuldigt. Weitere Konsequenzen, zum Beispiel auf strafrechtlicher Ebene, sind nicht zu erwarten. Die Eltern haben keine Anzeige erstattet, ihr Sohn wechselt ohnehin in die Grundschule. Auch das Landesjugendamt als rheinland-pfälzische Aufsichtsbehörde hält das Vorgehen der Kita GmbH für sinnvoll. "Wir vertrauen auf das Urteil eines kompetenten Trägers", betont Referatsleiter Hartmut Gerstein. Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen für Kinder seien verboten und müssten Sanktionen nach sich ziehen. Aber Gerstein wirbt auch um Verständnis für die "wirklich schwierige Herausforderung", die die Mitarbeiter in Kindertagesstätten zu meistern hätten.

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