Erdgas als Instrument nationaler Macht

Washington · Die Vorgehensweise scheint einleuchtend: Um Russland das Druckmittel eines Energielieferstopps aus der Hand zu nehmen, könnte Amerika mit Erdgaslieferungen an Europa einspringen. Doch so einfach geht das nicht.

Washington. Mary Landrieu nimmt die Sache persönlich. Die Senatorin aus Louisiana darf in Russland nicht mehr einreisen. Neben Kollegen wie John McCain und Harry Reid steht sie auf der Sanktionsliste, mit der sich Wladimir Putin für Strafmaßnahmen des Weißen Hauses revanchierte. "Es ist mir eine Ehre", sagt die Demokratin, es werde sie gewiss nicht davon abhalten, für den Aufstieg Amerikas zur Energie-Supermacht zu trommeln, für Exporte in alle Welt. "Wir müssen Russlands Einfluss in Europa begrenzen, besonders in der Ukraine, die so lange für ihre Freiheit gekämpft hat."
Im Energieausschuss des Senats, dessen Sitzungen Landrieu leitet, ist das Thema mit der Krim-Krise, mit den Spannungen im Osten der Ukraine zum Dauerbrenner geworden: Wann beginnen die USA, Erdgas nach Mittel- und Osteuropa zu liefern? Aufs Tempo drückend wandten sich die Botschafter Polens, Ungarns, der Slowakei und der Tschechischen Republik in einem gemeinsamen Brief an den Kongress. Aus Gründen der nationalen Sicherheit, schrieben sie, sei es wichtig, Alternativen zu russischem Erdgas zu haben. Ergo möge sich Washington mit den nötigen Ausfuhrgenehmigungen bitte beeilen. Seien die Vereinigten Staaten erst Netto-Exporteur von Energie, könne dies das "geostrategische Geflecht" der Welt ändern, vor allem in Europa und Nahost, orakelt Martin Dempsey, der Stabschef der Streitkräfte, ein Viersternegeneral, der ansonsten nicht zum Überschwang neigt. "Ich denke, wir müssen der Energie als einem Instrument nationaler Macht mehr Aufmerksamkeit schenken."
Unerwünschte Nebeneffekte


Grob skizziert halten es die meisten Republikaner mit Dempsey, während etliche Demokraten auf unerwünschte Nebeneffekte verweisen. Derzeit zahlen amerikanische Kunden nur ein Drittel dessen, was Mitteleuropäer für Gas berappen müssen, und viermal weniger als Japaner. Das Fracking, mit dessen Hilfe Schiefergasfelder in North Dakota, Texas oder Pennsylvania erschlossen werden, hat de facto für ein Überangebot gesorgt und strapazierte Familienkassen entlastet. Verstärkte Exporte, schätzt das US-Energieministerium, würden die Preise daheim um rund 30 Prozent steigen lassen, da sie die Schwemme abbauen. Weil die Hälfte aller Haushalte mit Gas heize, würde es Gering- und Normalverdiener enorm belasten, warnt Eliot Engel, ein Abgeordneter aus New York. Fracking-Gegner lehnen eine Weltmarktoffensive schon deshalb ab, weil sie die Schiefergasförderung zurückdrängen möchten.
So heftig die Debatte wogt, so theoretisch ist sie für den Moment. Frühestens 2015 kann von den ersten Terminals am Golf von Mexiko verflüssigtes Erdgas, kurz LNG genannt, verschifft werden. Sabine Pass, eine Anlage in der Nähe der texanischen Hafenstadt Port Arthur, wird gerade mit Zehn-Milliarden-Dollar-Aufwand umgerüstet. Ursprünglich sollte dort LNG importiert werden, denn noch 2005 schien festzustehen, dass Amerika seinen Gasbedarf allein nicht mehr decken kann. Nun geht es in die andere Richtung, allerdings langsam. Die Genehmigungsverfahren ziehen sich hin, erst sieben von 30 beantragten Terminals haben die Freigabe bekommen.
An der Spitze der Investorenliste stehen japanische Konzerne. Überhaupt dürfte Japan, der lukrativste Markt, auf absehbare Zeit der Hauptabnehmer sein, den Prognosen zufolge vor Südkorea. In Europa dagegen, konstatiert Michael Levi, Energie-Experte am Council on Foreign Relations, einem angesehenen Thinktank, könne amerikanisches Erdgas kaum mit russischem konkurrieren. Rechne man die Kosten für Verflüssigung und Seetransport ein, sei es eindeutig teurer. Ohnehin, so Levi, komme das Umschalten auf Exporte zu spät, um in der aktuellen Krise um die Ukraine noch eine Rolle zu spielen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort