"Es besteht wenig Hoffnung für die Landesregierung"

Mainz · Die Landesregierung hätte gewarnt sein müssen, sagen EU-Experten. Zu lange habe sie den Nürburgring an Brüssel vorbeigeplant und -finanziert. Und als sich die Politiker schließlich an die Kommission wandten, ermittelte die wegen verdächtiger Zahlungen.

Mainz. Kurt Beck ist außer sich. "Das ist eine Vorgehensweise der EU-Kommission, die ich für bedenkenswert halte", wettert er in der Staatskanzlei. Zuvor hat der Ministerpräsident die bittere Wahrheit verkünden müssen, dass die nahezu landeseigene Nürburgring GmbH endgültig pleite ist.
Brüssel hat der verzweifelten Landesregierung den letzten Strohhalm genommen und ihr verwehrt, ihr Tochterunternehmen mit einer Rettungsbeihilfe zu stützen. Beck und sein Kabinett geben sich nach Informationen der Rhein-Zeitung schockiert und überrascht. Dabei war diese Entwicklung absehbar, sind sich Experten für Beihilferecht sicher.
Für den Europarechtler Kyrill A. Schwarz spricht die Entscheidung der EU-Kommission zum Prüfverfahren am Nürburgring bereits eine klare Sprache. "Die Kommission bringt in seltener Deutlichkeit zum Ausdruck, dass es sich um Beihilfe handelt", so der Würzburger Professor.
Seiner Einschätzung nach lässt sich aus dem Eröffnungsbeschluss deutlich ablesen, dass Brüssel von illegalen Subventionen ausgeht. "Da besteht wenig Hoffnung für die Landesregierung", schätzt der Europarechtler, der sich intensiv in die Beihilfeproblematik eingearbeitet hat.
Die EU-Wettbewerbshüter vermuten, dass am Nürburgring knapp 486 Millionen Euro an illegalen Beihilfen geflossen sind.
Risiken lange unterschätzt


Die meisten Experten sind sich einig: Die - damals SPD-geführte - Regierung hätte die umfangreichen Landesmittel für den Ring frühzeitig bei der EU-Kommission anzeigen müssen. Doch dies hätte ein Durchführungsverbot nach sich gezogen - bis zur endgültigen Klärung.
Der Vorteil eines solchen Verfahrens: Das Land hätte den Weg mit der EU beschritten und wäre vor bösen Überraschungen aus Brüssel gefeit gewesen. Doch die Notwendigkeit, gemeinsam mit der Kommission eine Lösung zu entwickeln, setzte sich in Mainz erst nach und nach durch. Am Anfang waren es vor allem die Grünen, die in diese Richtung drängten. Aber richtig Bewegung kam erst in die Sache, als der Landesregierung schon das Wasser bis zum Hals stand.
Der Eröffnungsbeschluss zu den Ring-Subventionen war ein scharfer Schuss vor den Bug von Rot-Grün. Die massiven Finanznöte der Nürburgring GmbH ließen keine andere Möglichkeit, als Brüssel um Hilfe (zur Selbsthilfe) zu bitten. Doch die Kommission war nicht bereit, angesichts der schweren Verdachtsmomente im Hauptverfahren schnell über die dringend nötige Rettungsbeihilfe zu entscheiden. Der Europarechtler Alexander Thiele, ein intimer Kenner der Wettbewerbsbehörde, wundert sich nicht über das Verhalten der Brüsseler Behörde. "Wer die EU nicht mit ins Boot nimmt, muss sich nicht wundern, dass sie erst einmal genau prüft", erklärte er. Und ein anderer EU-Rechtler meint: "Das ist ein typischer Fall: Man lässt die EU lange außen vor, weil man denkt, es geht schon irgendwie gut. Und dann zeigt man mit dem bösen Finger auf Brüssel." Grundsätzlich hätte die Landesregierung gewarnt sein müssen.
Trotzdem sah es auf Arbeitsebene offenbar lange Zeit so aus, als käme die Rettungsbeihilfe doch noch zustande. Die Abteilungsleiter der drei betroffenen Ministerien (Innen, Wirtschaft und Finanzen) plus ein Referent der Staatskanzlei verhandelten regelmäßig mit den Fachleuten der Generaldirektion in Brüssel. Dabei wurde bereits erörtert, in welchem Verfahren (Hauptverfahren oder Rettungsbeihilfe) die ersten finanziellen Absprachen zwischen gekündigten Pächtern und Land anzusiedeln wären. Am Ende soll es gar eine Tischvorlage für die Sitzung der EU-Kommission am 25. Juli gegeben haben, die grünes Licht für die Rettungsbeihilfe erhielt. Das erzählt man in Kreisen der Landesregierung. Doch eine brüsselinterne Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes brachte offenbar die Wende.
Beihilfe fast zustande gekommen


Die Experten dort verwiesen auf den Grundsatz der einmaligen Beihilfe ("one time, last time"). Da bereits Zahlungen von 486 Millionen Euro verdächtig sind, wollte man am Nürburgring keine weiteren Beihilfen zulassen - auch nicht, wenn es sich lediglich um 13 Millionen Euro handelte. Also entschied man erst einmal nicht - mit den bekannten Folgen. Brüsseler Experten halten es zudem für gut möglich, dass politische Überlegungen eine Rolle spielten, beispielsweise die Frage, welche Signalwirkung von einer Entscheidung zugunsten der Landesregierung ausgegangen wäre. "Je höher man kommt, desto politischer wird gedacht", so ein Kenner. Überraschend ist auch das nicht. Die Wettbewerbshüter haben stets den gesamten EU-Binnenmarkt im Blick.
Spätestens in dem Moment, als die Bedenken des Wissenschaftlichen Dienstes bekannt wurden, wusste die Landesregierung endgültig um den Ernst der Lage. Jetzt brannte die rot-grüne Hütte. Das muss rund zehn Tage vor dem Eingeständnis der Pleite gewesen sein. Rot-Grün entwickelte fieberhafte Aktivitäten. Kurt Beck rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an und bat um Unterstützung. Finanzminister Carsten Kühl (SPD) besorgte sich über Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Termin bei Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Bei dem persönlichen Treffen versuchte das Land noch zu erreichen, dass die Rettungsbeihilfe unter Vorbehalt gewährt werden würde. Dieser Vorstoß war aber aber nicht mehr erfolgreich. Der pragmatische Finanzminister Kühl sowie Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) waren es übrigens, die eine geordnete Insolvenz früh als ernsthafte Möglichkeit in Betracht zogen. Innenminister Roger Lewentz (SPD) soll diesen Weg zunächst skeptisch gesehen haben. Beck indes war offenbar nur unter dem Druck der Ereignisse bereit, den Gang der Landestochter zum Insolvenzrichter zu akzeptieren.Extra

Die Landesregierung lässt sich in Brüssel nach Informationen unserer Zeitung künftig nicht mehr von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young vertreten. Offenbar fühlte man sich in dem komplizierten Beihilfeverfahren nicht zur vollen Zufriedenheit unterstützt. Martina Maier wird künftig im Auftrag des Wirtschaftsministeriums die Interessen des Landes wahren. Die Juristin ist Partnerin im Brüsseler Büro von McDermott Will & Emery, einer internationalen Anwaltssozietät mit über 1000 Rechtsanwälten. "Mit ihr verfügen wir über den nötigen Sachverstand", heißt es in rot-grünen Kreisen. Die EU-Kommission prüft den Verdacht, dass am Nürburgring illegale Beihilfen von knapp 486 Millionen Euro geflossen sind. db

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