"Es hängt an Frankreich"

Berlin · In Washington haben gestern die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein gegenseitiges Freihandelsabkommen begonnen. In der deutschen Wirtschaft sind die Erwartungen groß, wie der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, Anton F. Börner, im Interview erläutert.

Berlin. Mit Anton F. Börner, dem obersten Lobbyisten der Exportbranche, sprach unser Korrespondent Werner Kolhoff. Was verspricht sich die deutsche Wirtschaft von einem Freihandelsabkommen der EU mit den USA?Börner: Es wäre für beide Seiten ein gigantisches Konjunkturprogramm. Wir rechnen langfristig mit einem Wachstumsplus von über einem Prozent in Deutschland allein aus einem solchen Abkommen. Angesichts der Wachstumsschwäche der Weltwirtschaft wäre das eine wichtige Stimulanz, von der übrigens dann auch die südeuropäischen Länder profitieren würden. Und wo liegen die Probleme?Börner: Frankreich wird das größte Problem sein. Die Franzosen möchten ihre hoch subventionierte Kultur nicht für den transatlantischen Markt öffnen, weil sie zum Beispiel fürchten, dass ihre Filmindustrie unter Druck gerät und ihre Sprache mit Anglizismen überschwemmt wird. Auch fürchtet Frankreich, dass seine Milchwirtschaft durch Billigimporte aus Amerika Probleme bekommt. Das dritte Thema betrifft auch Deutschland. Es gibt zwischen den USA und Europa unterschiedliche Vorstellungen über die Standards von Lebensmitteln. So sind in den USA gentechnisch veränderte Lebensmittel sehr verbreitet, während sie hier verpönt oder verboten sind. Warum sollten die Europäer denn auch ihre Identität, zu der solche Ökostandards gehören, auf dem Markt des Wachstums opfern?Börner: Mitnichten wird Europa seine Identität durch ein solches Abkommen aufgeben. Die können die Bürger und Verbraucher sehr gut wahren. Die Frage ist doch, ob der Staat durch Handelshemmnisse diese Identität schützen muss. Ich meine, nein.Kann es einen offenen Handel und ein vertrauensvolles Verhältnis der Wirtschaften beider Regionen geben, wenn der eine den anderen ausspäht, die USA die Europäer?Börner: Das ist doch absolut nichts Neues. Es wäre eine romantische Vorstellung zu glauben, die Geheimdienste dieser Welt würden nationale Datenschutzgesetze beachten. Man sollte die Themen voneinander trennen. Über die Spähaffäre muss man politisch diskutieren. Beim Freihandelsabkommen geht es um eine wirtschaftliche Angelegenheit.Wann rechnen Sie mit einem Ergebnis?Börner: Eigentlich wäre es möglich, ein solches Abkommen in zwei Jahren zu erzielen. Ich glaube aber, die Franzosen werden sich massiv dagegen sträuben. Dann gerät die deutsch-französische Freundschaft wohl unter Stress.Börner: Die ist bereits bis zum Zerreißen gestresst, weil beide Länder eine völlig unterschiedliche Vorstellung über die mittel- und langfristige Bewältigung der Schuldenkrise haben. Frankreich muss sich reformieren, daran führt kein Weg vorbei. Aber die Franzosen wehren sich mit aller Macht dagegen. Es ist schwierig, mit den USA zu verhandeln, wenn man die eigenen Probleme in der EU noch nicht gelöst hat.Extra

In einer Freihandelszone vereinigen sich mehrere Staaten zu einem einheitlichen Zollgebiet. Der Wegfall von Zöllen und Handelsrestriktionen soll die Wirtschaftsbeziehungen beleben. Außenzölle zu Drittstaaten bleiben aber bestehen. Als Gegenstück zum EU-Vorläufer EWG (später EG) gründeten 1960 Großbritannien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Portugal, Österreich und die Schweiz die Europäische Freihandelsassoziation Efta. Mit dem 1973 beginnenden Beitritt von Efta-Mitgliedern zur EG verlor die Efta an Bedeutung. Nach der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes setzte die Europäische Union zunehmend auf Handelserleichterungen mit Partnern in anderen Kontinenten. Das angestrebte Abkommen der EU mit den USA würde die weltweit bedeutendste Freihandelszone schaffen. Als erste Vereinbarung über die Liberalisierung des Handels mit einem asiatischen Land trat 2011 ein EU-Freihandelsabkommen mit Südkorea in Kraft. Im Dezember 2012 folgte ein entsprechender Pakt mit Singapur. Seit April laufen zudem Verhandlungen der EU mit Japan. Auch in anderen Erdteilen koordinieren Staaten ihre Volkswirtschaften. Die USA, Kanada und Mexiko vereinbarten 1994 das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta. Der 1991 gegründete Gemeinsame Markt des Südens (Mercusor) ist ein südamerikanischer Wirtschaftsverbund. Seit 2003 ist die Freihandelszone Afta in Kraft, in der die Länder des Verbandes Südostasiatischer Staaten (Asean) Zollbarrieren abbauen. dpa Extra

Der deutsche Unternehmer Anton F. Börner (58) ist seit 2001 Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA). Er setzt sich für den freien Welthandel ein. (red)/Foto: dpa

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