Ex-Politiker Böhr redet Klartext

Mainz · Der frühere CDU-Fraktionschef Böhr gibt in seinem Untreue-Prozess tiefe Einblicke in seine desolate Lage vor der Landtagswahl 2006. Er sei mit seinem Latein am Ende gewesen. Ein Berater sollte helfen. Laut Anklage kommt es dabei aber zu illegaler Parteienfinanzierung.

(dpa/lrs) - Draußen scheint die Sonne, drinnen geht es ruhig und sachlich zu - doch plötzlich tun sich Abgründe auf. Der frühere rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschef Christoph Böhr gewährt in seinem Untreue-Prozess in Mainz aufschlussreiche Einblicke in die einst verzweifelte Lage der Christdemokraten. „Sie war zerrissen und zerstritten“, sagt der 59-Jährige am Mittwoch mit Blick auf die CDU-Fraktion vor der Landtagswahl 2006.

Damals sitzen die Christdemokraten schon seit 15 Jahren in ihrer einstigen Hochburg Rheinland-Pfalz auf der Oppositionsbank. Wie auch heute noch. Die jetzige CDU-Führung wirkt zuversichtlicher. Umso weniger sind Böhrs neue Ausführungen ein Zuckerschlecken für sie.

2005 setzt auch eine Mitgliederbefragung, bei der sich der Trierer Christdemokrat durchsetzt und dann zum Spitzenkandidaten gewählt wird, dem jahrelangen Zwist kein Ende. „Ich war danach offen gesagt mit meinem Latein am Ende“, gesteht Böhr in seiner fast zweistündigen detailreichen Stellungnahme vor dem Landgericht. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden ist dem Hochschuldozenten mit Brille und weißen Haaren sicher - auch eine fallende Stecknadel wäre noch zu hören.

Seinerzeit will die CDU endlich den bereits seit 1994 amtierenden SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck aus dem Amt jagen. Da lernt Böhr den späteren Hamburger Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) kennen. Er ist Chef der Düsseldorfer Agentur C4. Böhr neigt damals nach eigenen Worten dazu, betriebsblind zu werden und sucht den Blick eines Außenstehenden. Er beauftragt Frigge mit der Beratung für den Landtagswahlkampf 2005/2006 und der Befriedung der CDU-Fraktion.

Das Problem: Laut Staatsanwaltschaft bezahlt die CDU nun mit Fraktionsgeld und damit Steuergeld eine Leistung für die Partei. 386 000 Euro fließen - aus Sicht der Anklage als illegale Parteienfinanzierung. Die CDU zeigt sich einsichtig und überweist im Januar 2011 rund 1,2 Millionen Euro Strafe an den Bundestag.

Böhr und der mitangeklagte Frigge weisen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft am Mittwoch unisono zurück: Fraktions- und Parteiarbeit seien vor allem im Wahlkampf gar nicht strikt voneinander zu trennen. Das strittige Honorar sei allein für die Beratung der Fraktion geflossen.

Auch der 48-jährige Frigge, der über diese Finanzaffäre sein Amt als Finanzsenator verloren hat, erinnert sich im Gerichtssaal in norddeutschem Tonfall, wie er Böhr kennengelernt hat. Der Philosoph mit Doktortitel habe auf ihn wie ein klassischer Intellektueller gewirkt, ideen- und kenntnisreich, aber auch sprunghaft und „vor einer Wand von Herausforderungen“ wie etwa der Auseinandersetzung mit einem „Anti-Böhr-Lager“ in der eigen Fraktion.

Frigge erstellt das Konzept „Wahlsieg 2006“. Fast täglich telefoniert er mit Böhr, oft noch nach Mitternacht, wie dieser berichtet. Aus der Ferne gibt Frigge viele strategische Tipps, um den spröde wirkenden Christdemokraten als Herausforderer des bodenständigen Landesvaters Beck aufzubauen.

Dazu gehören auch Entwürfe für Wahlkampfreden von Böhr. In einer Ausfertigung, die der dpa vorliegt, heißt es, die SPD werfe Böhr vor, als Philosoph nicht zu wissen, was ein Pfund Butter koste. Außerdem sei er noch nie nach einem Weinfest betrunken in die Mosel gefallen. „Dummes Geschwätz“, soll Böhr entgegnen. „Ich ziehe es vor, als Ministerpräsident dieses Landes, der ich gerne werden möchte, fest mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen und nicht baden zu gehen.“

Doch bei der Landtagswahl 2006 geht Böhr sehr wohl baden: Er kassiert das bis dahin schlechteste Ergebnis der CDU im Land und tritt als Partei- und Fraktionschef zurück. Beck dagegen regiert weiter bis Anfang 2013. Erst in jüngerer Zeit gelingt es der jetzigen Fraktions- und Parteichefin Julia Klöckner, die CDU weitgehend zu einen. Doch nun, kurz vor der Bundestagswahl am 22. September, lassen Böhr, Frigge und zwei Mitangeklagte wieder die Gespenster der Vergangenheit aufsteigen - wohl zur Freude der SPD.

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