Experte: Griechenland-Gipfel stürmt an den Problemen vorbei

Berlin · Bundeswirtschaftsminister Rösler hat für heute rund 20 Verbände zu einem Griechenland-Treffen nach Berlin eingeladen. Geplant ist eine Investitionsoffensive für das überschuldete Land, eine Art Marshall-Plan, wie Rösler formulierte. Etliche Verbände sind skeptisch. Auch der Hamburger Wirtschaftsexperte Michael Bräuninger ist wenig zuversichtlich.

Berlin. Viele der heute von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) zum Griechenland-Gipfel eingeladenen Verbände haben sich im Vorfeld bereits skeptisch geäußert, ob die Veranstaltung etwas bringt. Auch der Forschungsdirektor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Michael Bräuninger, hält Röslers Ansatz eines Marshall-Plans für verfehlt, wie er im Interview mit dem Trierischen Volksfreund sagt. Mit Bräuninger sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff.

Kann so ein Marshall-Plan für Griechenland auf nationaler Ebene Sinn machen?
Bräuninger: Wenn überhaupt, müsste man so etwas auf europäischer Ebene beschließen. Ich sehe aber gar nicht den Grund, jetzt einen Marshallplan für Griechenland aufzulegen. Das Land hat ein Schuldenproblem, und das liegt an den überhöhten Ausgaben des Staates. Es hat auch ein Problem mit seiner Wettbewerbsfähigkeit, aber nicht, weil Investitionen fehlen oder weil die Infrastruktur nicht ausreicht. Sondern hier sind zu hohe Löhne und ein übergroßer Staatssektor die Probleme. All das kann ein Gipfel in Deutschland nicht lösen.

Ist das also nur eine Alibi-Veranstaltung dafür, dass Deutschland jetzt mit für die griechischen Schulden haftet?
Bräuninger: Die Fragestellung dieses Gipfels ist tatsächlich falsch. Marshall-Plan klingt sehr nach Aufbauhilfe und nach fehlender Infrastruktur. Das ist aber nicht das griechische Problem. Das Einzige, was sinnvoll sein könnte, wäre, private Investoren in Griechenland zu unterstützen, damit der private Sektor dort wieder stärker wird.

Wie?
Bräuninger: Im Wesentlichen ist das die Aufgabe von Privaten - und nicht des Staates. Eine Ausnahme sind Bürgschaften für Investitionen, weil sich die Banken derzeit mit Krediten sehr zurückhalten.

Welche Wirtschaftszweige sind denn in Griechenland ausbaufähig?
Bräuninger: Es ist ein kleines Land und wird sicherlich nicht zur Exportnation werden wie Deutschland. Es ist also nicht notwendig, dort eine große Industrie aufzubauen. Griechenland kann aber größere Teile seines Bruttosozialprodukts über den Tourismus erwirtschaften, wo Investitionen sinnvoll und lohnend sind. Darüber hinaus ist der Schifffahrtssektor ein wichtiger Wirtschaftszweig, den man weiter stärken muss.

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat auch vorgeschlagen, die Solarenergie in dem sonnenreichen Land auszubauen ...
Bräuninger: Bevor Griechenland am Export von Solarstrom Geld verdienen kann, muss eine Vernetzung mit Europa stattfinden, die sehr aufwendig und langwierig ist. Das ist eher ein Projekt für eine fernere Zukunft.
Ist das Treffen bei Minister Rösler heute ein Vorbote für eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Strukturpolitik?
Bräuninger: Es gibt die europäischen Strukturfonds ja schon lange. Dabei geht es darum, die Wettbewerbsfähigkeit in ganz Europa zu stärken, ganz besonders in den schwachen Regionen.

Aber offenbar nicht mit viel Erfolg.
Bräuninger: Weil häufig viel Geld ausgegeben wird, das am Ende wenig bringt. Oft werden teure Infrastrukturprojekte finanziert. Aber Infrastruktur alleine kann eine Wirtschaft auch nicht wettbewerbsfähig machen. Dafür braucht man zum Beispiel noch qualifizierte Arbeitskräfte und marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Das hat der große Staatssektor in Griechenland behindert.
Prof. Michael Bräuninger(48)ist Forschungsdirektor am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er leitet die HWWI-Konjunkturprognose und wirkt maßgeblich an zahlreichen Studien zu den langfristigen globalen Zukunftstrends und deren ökonomischen Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft mit. red

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