Experten: Für die Kinder brauchen wir die besten Leute

Berlin · Die regierungsoffizielle Idee, Arbeitslose zu Erziehern auszubilden, nimmt Gestalt an. Bildungsexperten zeigen sich davon allerdings wenig angetan.

Berlin. Das Gesetz ist glasklar formuliert: Vom 1. August 2013 an haben Eltern mit einem Kind im Alter von unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen öffentlichen Betreuungsplatz. Dazu müssen nicht nur rund 750 000 Plätze neu geschaffen, sondern auch zusätzlich Erzieher eingestellt werden. Laut Deutschem Jugendinstitut fehlen in den Kitas jedoch mindestens 14 000 Fachkräfte.
Die BA will nachlegen


Im Juni hatte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) deshalb bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf verstärkte Anstrengungen bei der Umschulung und Qualifizierung von geeignetem Personal gedrungen. Laut BA durchlaufen schon knapp 3000 Arbeitslose eine entsprechende Maßnahme. Davon hat etwa jeder Dritte zuvor einen völlig artfremden Beruf ausgeübt. Nun will die BA nachlegen. "Durch intensive Beratung können wir vielleicht rund 5000 Arbeitslose für den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers gewinnen", meinte BA-Vorstand Alt.
Die Zahl geht auf Gespräche mit den zuständigen Behörden der Länder zurück. Den größten Personalbedarf hat demnach Nordrhein-Westfalen geltend gemacht. Dort fehlen mindestens 1000 Erzieher. In Rheinland-Pfalz sind es bis zu 300.
Dabei sollten nur jene Hartz-IV-Empfänger berücksichtigt werden, die das ausdrücklich wünschten, so Alt. Von den aktuell 2,8 Millionen Arbeitslosen in Deutschland sind rund zwei Millionen auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Darunter fallen aber nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch Studenten und ehemalige Beschäftigte, die wegen ihrer kurzzeitigen Arbeitsverhältnisse keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben.
Dass die künftigen Erzieher auch unter den arbeitslos gewordenen Schlecker-Frauen rekrutiert werden sollen, hatte schon vor Wochen heftige Kritik ausgelöst. Rolf Busch, Vizechef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), erneuerte gestern im Gespräch mit dem TV seine Bedenken. "Sicher ist es nicht ausgeschlossen, dass Arbeitslose eine Nachschulung zum Erzieher erfolgreich absolvieren und den Beruf erfolgreich ausführen können. Aber unter dem Strich wirkt es wie ein Notprogramm", meinte Busch. Im Kern gehe es um frühkindliche Bildung, "für die wir die besten Leute brauchen".
Ähnlich argumentierte SPD-Vize Manuela Schwesig. "Eine Konzentration allein auf die Gruppe der Langzeitarbeitslosen halte ich für falsch", sagte sie unserer Zeitung. Nötig sei eine "breiter angelegte Initiative, die sich auch an Leute wendet, die gerade erst arbeitslos geworden oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind". Auch dürften keinerlei Abstriche bei der Qualifikation von Erziehern gemacht werden. "Es muss sichergestellt sein, dass die interessierten Personen die notwendigen Voraussetzungen für diesen wichtigen Beruf mitbringen", erklärte Schwesig.Extra

Irene Alt, rheinland-pfälzische Familienministerin (Grüne): Was halten Sie von dem Vorschlag vom Chef der Bundesagentur, Heinrich Alt, Langzeitarbeitslose zu Erziehern umzuschulen? Alt: Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, sagt: "Für einen solchen Beruf sollte man sich nicht nach Aktenlage entscheiden." Dieser Aussage stimme ich voll und ganz zu. Immer im Blick sollte bleiben, dass es sich beim Beruf des Erziehers um einen anspruchsvollen Beruf handelt, bei dem gerade in den letzten Jahren großer Wert auf Professionalisierung, bei uns in Rheinland-Pfalz etwa durch akademische Studiengänge oder unser Fortbildungsprogramm, gelegt wird. Eignen sich alle Langzeitarbeitslosen dafür? Alt: Die Bundesagentur betont, dass es sich hierbei nicht nur um ein Angebot für Langzeitarbeitslose handelt, sondern dass nur diejenigen aller Arbeitslosen ausgebildet werden, die dies ausdrücklich wünschen und die notwendigen Voraussetzungen wie die mittlere Reife mitbringen. Können Quereinsteiger also generell Erzieher werden? Alt: In Rheinland-Pfalz bieten wir schon seit langem die Möglichkeit des Quereinstiegs. Das bedeutet, dass Menschen mit einer anderen Berufsausbildung mit einer vom Kita-Träger beantragten und begründeten Ausnahmegenehmigung eingestellt werden können und sich dann berufsbegleitend qualifizieren können. Wie sieht es mit der Ausbildung der Quereinsteiger aus? Unterscheidet die sich von der allgemeinen Erzieherausbildung? Alt: Es handelt sich immer um Einzelfallentscheidungen, die stets an den Qualitätsstandards orientiert sind. So ist die Abschlussprüfung auch für Quereinsteiger dieselbe wie für die Sozialassistenten beziehungsweise für die Fachschulabsolventen. Jedenfalls können unterschiedliche berufliche Hintergründe für das Kita-System eine Bereicherung darstellen. Die Fragen stellte unser Redakteur Bernd Wientjes Extra

Es sei grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Bundesanstalt für Arbeit den Beruf der Erzieherin als Mangelberuf anerkenne und eine qualifizierte Umschulung von Arbeitslosen in diesen Beruf ermöglichen und finanzieren wolle, sagt Bernd Huster, Sekretär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Man dürfe aber nicht vergessen, dass die Regelausbildung zum Erzieher nach mittlerer Reife in Rheinland-Pfalz fünf Jahre dauert. Wer sich also spürbare Entlastungen verspreche, müsse die lange Qualifizierungszeit berücksichtigen, sagt Huster. wie

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