Falsch verstandene Familienehre

Fassungslosigkeit nach der Bluttat von Trier: Hätte der brutale Angriff eines 21-Jährigen auf seine jüngere Schwester zur Rettung der Familienehre verhindert werden können? Welche Rolle spielt der Glaube der aus dem Irak stammenden Familie?

Trier. "Warum nur haben die Eltern nicht eingegriffen?", "Wahrscheinlich wird dieses Mädchen in ständiger Angst leben, solange es lebende Mitglieder dieser Familie gibt." Nach der Bluttat wegen verletzter Familienehre in Trier herrscht noch immer Fassungslosigkeit. Auf volksfreund.de, der Internetseite des Trierischen Volksfreunds, wurde heftig über das Familiendrama, bei dem ein 21-jähriger Bruder seine 17-jährige Schwester mit einem Pflasterstein fast erschlagen und die Betreuerin des Mädchens schwer verletzt hatte, diskutiert. Hätte die Tat verhindert werden können?

Fest steht: Der 21-Jährige hat seine Schwester bereits im Mai heftig angegriffen und verletzt. Die 17-Jährige kam damals mit schweren Prellungen davon. Möglicherweise hat er sie, die nach muslimischem Glauben erzogen worden ist, dafür bestrafen wollen, dass sie einen Freund hat. Einen Monat zuvor war sie zu Hause ausgezogen, hat im Maria-Goretti-Haus in Trier, dort wo von Gewalt bedrohte Frauen Unterschlupf finden, Schutz gesucht. Offenbar aus Angst vor ihrem Vater und dem älteren Bruder, vielleicht sogar Angst, umgebracht zu werden. Der Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF), Träger des Frauenhauses, stellte ihr eine Betreuerin. Aus Angst vor Ehrenmorden habe zuvor noch keine Frau Schutz im Maria-Goretti-Haus gesucht, heißt es beim SKF. Auch der Trierer Strafrechtler Hans-Heiner Kühne zeigt sich überrascht, dass es einen versuchten Ehrenmord in Trier gegeben hat. Normalerweise sei die Entfremdung der hier lebenden Ausländer noch nicht so groß wie etwa in Ballungszentren, sie seien gut integriert. Es gebe auch Parallelgesellschaften, sagt Kühne, der seit Jahren die türkische Regierung in Menschensrechtsfragen berät und sich mit dem Islam auskennt. Ehrenmorde seien nicht typisch für den Islam. Die Religion verbiete Gewalt. Es gebe auch keinen durch Schläge geprägten orientalischen Erziehungsstil. Familienehre werde vor allem von Angehörigen der Unterschicht in islamischen Ländern oft falsch verstanden, sagt Kühne. Möglicherweise liege die Ursache für die Bluttat von Trier bei dem angeblich gewalttätigen Vater des Mädchens. Kühne vermutet, dass der älteste Sohn geglaubt habe, er müsse seinen Vater vertreten und die angeblich verletzte Familienehre retten.

Das Trierer Familiengericht hat den Eltern des Mädchens gestern das Sorgerecht entzogen. Das Jugendamt habe nun die Vormundschaft, bestätigt Jürgen Backes, Sprecher der Stadtverwaltung Trier. Zwar ist die 17-Jährige nach dem schweren Angriff außer Lebensgefahr, aber auch gestern ist sie noch immer nicht vernehmungsfähig gewesen. Ihr Bruder, der seit Mittwoch in Untersuchungshaft sitzt, schweigt zu der Tat.

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